Inhalt:

1992 Mexico (Mexico City)
1992 Spanien (Barcelona)
1992 Belgien (Spa)
1993 Portugal (Estoril)
1994 Spanien (Barcelona)
1995 Belgien (Spa)
1995 Europa (Nürburgring)
1996 Spanien (Barcelona)
1996 Italien (Monza)
1997 Monaco (Monte Carlo)
1997 Belgien (Spa)
1998 England (Silverstone)
1998 Ungarn (Budapest)

1999 Malaysia (Sepang)
2000 Nürburgring (Europa)
2000 Japan (Suzuka)
2001 Malaysia (Sepang)
2002 USA (Indianapolis)
2003 San Marino (Imola)
2003 USA (Indianapolis)
2004 Frankreich (Magny-Cours)
2005 San Marino (Imola)
2006 China (Shanghai)
2006 Brasilien (Interlagos)
2011 Kanada (Montreal)
 

2. Rennen der Saison '92

Der Große Preis von Mexiko auf dem Autódromo Hermanos Rodríguez in Mexiko-Stadt

22. März 1992

Sieben Rennen hatte Michael bis zu diesem Zeitpunkt in der Formel 1 schon bestritte. Kam er ins Ziel so lag er am Ende auch in den Punkten. Sein bestes Ergebnis fuhr er ein Rennen zuvor beim Saisonauftakt in Kyalami/Südafrika ein, Platz vier.  „In diesem Jahr möchte ich versuchen, so viele Rennen wie möglich zu beenden und wenn ich dabei auch noch punkten kann, ist das noch besser“, lautete Michaels erklärtes Ziel für die Saison. In der Qualifikation war sein bis dahin bester Startplatz der 5. Platz (1991 beim GP von Spanien).

In Mexico wurde er mit Startplatz 3 belohnt, nachdem er seinen Benetton im Training mit viel Gefühl hervorragend auf die Tücken der buckligen Piste abgestimmt hatte. Das Rennen selber begann mit einem relativ verschlafenen Start bei dem er auf Platz 6 zurückfiel. Doch danach war er wieder hellwach und zwängte sich schon in der ersten Kurve wieder an Gerhard Berger vorbei. „Der Junge hat einfach ein großes Talent zum Schnellfahren“, sagte Berger nach dem Rennen. „Wo andere in einem rutschigen Auto vom Gas gehen, bleibt er drauf.“ Nach diesem harten, aber fairen Überholmanöver überholte er auch noch Martin Brundle, seinen Teamkollegen. Nun war sein nächster Gegner Ayrton Senna, an dessen Fersen er sich zwölf Runden lang heftete. Als der McLaren des Brasilianers wegen einer defekten Kraftübertragung ausrollte, war Michael schon etwas enttäuscht. „Schade“, schmunzelte er, „dass er mir nicht die Möglichkeit gegeben hat, ihn zu überholen.“

Doch die Williams von Nigel Mansell und Ricardo Patrese an der Spitze zu überholen, daran war, obwohl Michael ein perfektes Rennen fuhr, nicht zu denken. In der Höhenluft von Mexico City machte er keinen Fehler und schaffte als Dritter erstmals den Sprung aufs Treppchen, was seit Jochen Mass 1977 in Kanada keinem Deutschen mehr gelungen war. „Das ist der schönste Tag in meinem Leben“, freute er sich. „Ein Traum hat sich erfüllt, ich kann es noch gar nicht fassen.“

Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.

4. Rennen der Saison '92

Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona

3. Mai 1992

In Barcelona rückte Michael erstmals in der Saison mit dem neuen Benetton-Ford 192 aus. Spitzname: Der gelbe Hai. Damit zeigte er schon im Training seinen Konkurrenten die Zähne und sicherte sich erstmals in seiner Kariere neben Nigel Mansell einen Platz in der ersten Startreihe. „Das neue Auto ist ein Volltreffer“, lobte er die Arbeit seiner Benetton Techniker, „trotzdem sollte man jetzt nicht in allzu große Euphorie verfallen und annehmen, dass wir die Williams schon schlagen können. Wenn wir weiterhin dritte Plätze erreichen, können wir wirklich zufrieden sein.“

Eine Schrecksekunde gab es jedoch vorher im Freitagstraining, bei der er eines der neuen Autos an einer Mauer in seine Einzelteile zerlegte. „Es war mein Fehler. Mein Hinterreifen hatte schon Blasen geworfen, ich dachte, noch eine Runde, dann fahre ich an die Box.“ Es war eine Runde zu viel. Das Auto war im Eimer, doch ihm war zum Glück nichts passiert.

Wie schon in Mexico war sein Start in ein diesmal feuchtes Rennen keiner seiner besten. Er fiel von zwei auf Position vier zurück. In der 7. Runde jedoch knöpfte er sich erst Jean Alesi vor und verschaffte sich dann nach hinten Luft in dem er sich nach und nach von Ayrton Senna abseilte. Dabei war er pro Runde fast eine Sekunde schneller als der Weltmeister aus Brasilien. Als dann noch Riccardo Patrese mit seinem Williams in der 20. Runde von der Strecke kreiselte, war Michael schon zweiter.

Der Regen wurde mit der Zeit immer stärker und Michael ebenfalls. In der 42. Runde lag er mit seinem Benetton 12,8 Sekunden hinter Nigel Mansell, in der 49. Runde waren es nur noch 4,8 Sekunden. „Ich fuhr so hart, wie’s ging. Ich hatte mich darauf konzentriert, mir Senna vom Leibe zu halten, doch plötzlich kam ich Mansell immer näher. Ich war sicher, der hatte ein Problem“, schilderte er seine tolle Aufholjagt auf der regennassen Piste. Mansell hingegen kam mächtig ins Schwitzen, denn das einzige Problem was er an diesem Tag hatte, war Michael. „Ich dachte, mein Gott, du musst jetzt langsam was unternehmen, der Junge kommt immer näher“, erzählte Mansell in der Pressekonferenz nach dem Rennen. „Ich fuhr noch härter, aber in der nächsten Runde hatte er mir weitere zwei Sekunden abgeknöpft. Dieser Hundesohn, wie macht er das?“ Im Ziel lief Michael dann aber doch mit einem Sicherheitsabstand von knapp 24 Sekunden hinter Mansell auf Platz zwei ein. Eine weitere Stufe auf der Erfolgsleiter war erklommen.

Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.

12. Rennen der Saison '92

Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps

30. August 1992

Auf Barcelona folgten noch 2 weitere Podestplätze, ein 2. Platz in Kanada und ein 3. Platz bei seinem ersten Heimrennen in Hockenheim, umjubelt von abertausenden deutschen Formel 1 Fans. Doch es sollte 1992 noch besser kommen.

Etwas über ein Jahr war es nun her, dass Michael zum ersten Mal in ein Formel 1 Rennen gestartet war. Damals kam er in Spa über 500 Meter jedoch nicht hinaus. Diesmal sollte alles ganz anders werden. Im ersten Qualifikationstraining stellte er seinen Benetton, obwohl er mit kalten Reifen einmal von der Piste rutschte, auf den dritten Startplatz. Im Regen am Samstagmorgen war er sogar schnellster. Ein gutes Omen für Sonntag, denn am Himmel über Spa zogen Stunden vor dem Rennen dunkle Wolken auf. „Da schoss es mir plötzlich durch den Kopf: Heute kannst du gewinnen“, erzählte Michael dem Journalisten Mathias Brunner, und als dieser ihn fragte, ob er denn zum ersten Mal an einen Formel 1 Sieg glaubte, grinste Michael verlegen: „Nöö, dieses Gefühl hatte ich schon in Ungarn. Aber dort kam es ja etwas anders.“ In Ungarn war er ein Rennen zuvor spektakulär von der Strecke geflogen, nachdem sein Heckflügel sich verabschiedet hatte. Und das ausgerechnet als seine Eltern das erste Mal Live an der Strecke ein Rennen verfolgt hatten.

Doch in Spa hatte ihn sein Gefühl diesmal nicht getäuscht. Auch wenn der Weg zum Sieg in Runde 30 um ein Haar schon zu Ende gewesen wäre…

Auch am Start lief wieder nicht alles glatt. Er konnte seinen 3. Platz nicht verteidigen und rutschte zwei Plätze nach hinten, von denen er sich einen gegenüber Alesi jedoch recht schnell wieder holen konnte. Im Verlaufe des Rennens wurde die Strecke immer nasser und die Fahrer mussten auf Regenreifen umrüsten. Die Reihenfolge nach den Stopps lautete: Senna, Patrese, Mansell und Michael auf vier. Senna war in diesem Quartett der einzige noch auf Slicks. Er pokerte und wollte sich einen Stopp sparen. Doch sein Plan ging nicht auf und sowohl die beiden Williams als auch Michael und Brundle gingen an ihm vorbei.

Die Strecke trocknete langsam wieder ab und Michael hatte alle Hände voll damit zu tun sich Martin Brundle, seinen Teamkollegen, vom Leibe zu halten der drängelnd hinter ihm herfuhr. Und weil auch noch zusätzlich ständig sein Visier im Nieselregen beschlug war er einen Augenblick lang in Runde 30 vor Stavelot abgelenkt und rutschte über die Randsteine aufs Gras, wo er sein Auto mit viel Glück kurz vor den Reifenstapeln wieder unter Kontrolle hatte. Den Platz gegen Brundle hatte er allerdings verloren. „Das war der einzige Fehler“, ärgerte er sich, „den ich im ganzen Rennen gemacht habe.“ Ein Fehler der ihm jedoch den Sieg bringen sollte. Denn im Windschatten konnte Michael beobachten wie die Reifen von Brundle, der wie alle anderen immer noch auf Regenreifen unterwegs war, obwohl die Strecke immer trockener wurde, gewaltige Blasen warfen. Da sie zuvor in etwa das gleiche Tempo gefahren waren, dachte er sich, dass seine Reifen sicher nicht viel anders aussehen und meldete sich unverzüglich an der Box zum Reifenwechsel an. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Als die Williams-Piloten viel zu spät durch ein internes Missverständnis, jeder dachte vom anderen er würde an die Box fahren, endlich die Reifen wechselten, fuhr Michael auf der trockenen Ideallinie mit Slicks schon lange die schnellsten Rundenzeiten. „Es war unheimlich“, gab er später zu Protokoll, „das Auto wurde immer schneller.“ Dass er Erster war hatte er dabei gar nicht gleich mitbekommen, weil er sein Boxenschild nicht erkennen konnte. „Erst nach ein paar Runden sah ich endlich das „P1“ und dachte: uuups.“ Diesen Platz gab er bis ins Ziel nicht mehr her. In seinem 18. Rennen stand er somit das erste Mal auf dem höchsten Treppchen.

Was ging ihm in den letzten Runden durch den Kopf? „Große Nervosität kam eigentlich nicht auf. Weder um die Technik noch vor einem fahrerischen Flüchtigkeitsfehler. Ich habe mich selbst ein bisschen gewundert. Aber langsam begann ich daran zu glauben, dass es klappen könnte. Aber so richtig fassen kann ich es jetzt noch nicht“, so Michael. „Das Schöne an diesem Sieg ist, keiner hat ihn mir geschenkt, die Williams sind nicht vor mir ausgefallen und auch der Senna nicht.“ Und auch in sein Gefühlsleben gab Michael damals einen Einblick: „Es ist total verrückt. Natürlich freu ich mich, aber Freude ist ein Wort, das meinen Gefühlen in diesem Augenblick nicht gerecht wird. Ich spüre Herzklopfen, Lachen, Tränen – alles auf einmal. Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal geheult habe. Aber heute sind mir in der Auslaufrunde die Tränen nur so runtergelaufen. Ich bin total happy.“ Gewidmet hat er seinen Sieg den deutschen Fans, die so lange auf den Sieg eines deutschen warten mussten.

Die Saison 1992 beendete Michael in der Gesamtwertung auf Rang 3. Nur vier Mal schied er vorzeitig aus einem Rennen aus und fuhr sonst, bis auf Portugal (7.), immer in die Punkte. Dabei erreichte er mit 8 Podestplätzen (1x1/3x2/4x3) ganz souverän sein am Anfang der Saison gestecktes Ziel.

Quellen: FIA Saison Review 1992 und Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.

14. Rennen der Saison '93

Der Große Preis von Portugal auf dem Circuito do Estoril in Lissabon

26. September 1993

Auch wenn Michael im WM-Endklassement letztlich um einen Rang abrutschte, überzeugte er 1993 erneut durch glänzende Vorstellungen: Wenn Michael das Ziel erreichen konnte, so durfte er auch an der Siegerehrung teilnehmen. So wurde er zum Beispiel 2. in Hockenheim und Belgien.

Doch der Höhepunkt der Saison war für Michael zweifelsohne der GP von Portugal. Auch wenn am Freitag und Samstag noch so Überhauptnichts dafür sprach.

Im freien Training am Freitagmorgen wurde Michael nur Fünfter. Er hatte keinen Grip, das Handling war schlecht und eine Reihe von Drehern war die Folge. Doch was noch schlimmer war: Die Techniker wussten nicht woran es lag. Sein Teamkollegen für diese Saison, Riccardo Patrese, landete auf Platz 6.

Das erste Qualifikationstraining verlief vom Ergebnis her nicht besser für Michael, wieder war er nur Fünfter. Am Samstag rutschte er sogar noch einen Platz nach hinten. „In diesem Auto steckt der Wurm“, meinte er resignierend, „wir sind kaum schneller als bei den Tests vor Saisonbeginn“. Seit Freitag hatte er sich bereits fünfmal gedreht, weil er die Grenzen des Autos überschritt, um die gewohnte Platzierung zu erzwingen. Samstagabend verbrachte er dann auch bis 23 Uhr in der Benetton Box, um mitzuhelfen, den Problemen auf die Spur zu kommen. Aber Michaels Benetton gab seine Geheimnisse nicht preis.

Im  Warm Up wurde Michael sogar nur Zwölfter. Doch seine Stimmung hatte sich merklich verbessert. „Ich fuhr das T-car“, erklärte er, „und das ist wesentlich besser als mein eigentlicher Einsatzwagen.“ Auf die Frage von Achim Schlang (F1-Berichterstatter), ob er über Platz Zwölf nicht enttäuscht sei, antwortete er: „Zuviel Verkehr – ich fand keine freie Runde. Verlass dich drauf, das Auto ist schnell. Schade, dass ich am Start so weit hinten stehe…“

Am Start übernahm der von Platz Fünf kommende Jean Alesi die Führung, gefolgt von Häkkinen, Senna, Prost und Michael. Polesetter Damon Hill blieb schon am Vorstart stehen und musste sich ganz hinten einreihen. An der Reihenfolge der ersten Fünf sollte sich bis zu Sennas Ausfall in Runde 20 nichts ändern. Doch innerhalb der folgenden knapp 13 Minuten geriet die Reihenfolge an der Spitze völlig durcheinander. Die Boxenstopps standen an. Nach 20 Runden holten sich Alesi und Häkkinen als erste der Frontrunner neue Reifen. Michael – „ich hing hinter Prost fest, obwohl ich in einigen Streckenabschnitten schneller als er fahren konnte. Also machten wir einen frühen Stopp, um gegebenenfalls einen weiteren Halt einlegen zu können“ – fuhr eine Runde danach an seine Box. Erst acht Umläufe später kam Prost zum Reifenwechsel, als vorletzter der Spitzenfahrer, unmittelbar darauf Hill. Nun komplett frisch Bereift hieß die Hackordnung vorne: Michael, Prost, Alesi, Häkkinen und Hill. Unerwartet in Führung liegend, dachte Michael natürlich nicht mehr an einen weiteren Reifenwechsel: „Jetzt ging es darum, diesen Platz mit aller Kraft zu verteidigen.“
Als Michael am Ende der 30. Runde über Start und Ziel fuhr betrug sein Abstand auf Alain Prost 3,7 Sekunden. Zehn Runden später waren es sogar 7,4 Sekunden. Das Bild war allerdings leicht verzehrt durch wechselndes Glück beim Überrunden.
Doch ab Runde 45 wurde es für Michael richtig ungemütlich. JJ Lehto stand zur Überrundung an, ließ Michael aber nicht vorbei. Er glaubte, der hinter ihm liegende Patrese übe Druck auf ihn aus und wehrte sich mit Händen und Füßen. Erst in Runde 50. kam Michael endlich vorbei, doch sein Vorsprung war aufgebraucht. Formatfüllend konnte er Prost in seinem Rückspiegel sehen.
Immer noch waren 21 Runden zu fahren und Michael hatte gegenüber Prost auf den Geraden einen PS Nachteil. Aber Prost, dem zum Titelgewinn ein zweiter Platz ausreichte, zog nicht alle Register. Das eine Mal, wo dieser ernsthaft attackierte blockte Michael ab und Prost steckte zurück.

Stunden nach dem Rennen konnte Michael immer noch nicht so recht glauben, was passiert war: „Hier hätte ich am allerwenigsten damit gerechnet, weil im Training alles schief gelaufen war. Aber dann nehm‘ ich das Ersatzauto – und das Wunder passierte. Ich bin fassungslos, sprachlos vor Glück. Nie im Traum hätte ich an einen Sieg geglaubt.“

Etwas später wurde er gefragt welcher Sieg der schönere war, Spa '92 oder Estoril '93? „Das Portugal Video habe ich erst einmal gesehen, in halbtrunkenen Zustand, mit 20 Telefonanrufen dazwischen. Ich hatte noch kaum Zeit, das Video wirklich zu studieren oder nachzudenken. Wahrscheinlich ist der erste Sieg immer der schönste, aber ich hab‘ ja noch nicht so viele gewonnen: Der erste Sieg war etwas ganz Tolles, der zweite toll auf die Art, wie ich ihn erreicht hab‘.“

Quellen: FIA Saison Review 1993. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Heinz Prüller „Michael Schumacher – Wunderkind und Weltmeister“, 1994.

5. Rennen der Saison '94

Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona

29. Mai 1994

Es war das zweite Rennen nach Imola und noch immer waren dessen Auswirkungen zu spüren. Man kämpfte an verschiedenen Fronten. Die neu gegründete GPDA, wo auch Michael einer der Redeführer war, kämpfte um die Sicherheit an der Strecke: Zusagen wurden nicht eingehalten, Gefahrenstellen nicht entschärft. Der erste Fahrerstreik seit Kyalami 1982 drohte. Ergebnis der Auseinandersetzung war eine  temporäre Schikane (zwei Reifenwände) in der Nissan Kurve.

Parallel lief die Abrüstung der Autos, denn die FIA hatte nach dem Katastrophen Monat Mai mal eben so die Regeln geändert.  Allerdings ohne Absprache mit den Teams. Ohne Windkanalversuche konnten die Techniker aber die neue Aerodynamik nicht erforschen. Vor dem GP von Spanien brachen die umkonstruierten Wagen immer wieder aus. Was wiederum zu Temperamentsausbrüchen in den Rennställen führte.
Ein Streik im ersten Training, Michael fuhr keinen Meter, war die Folge. Auch 20 andere Piloten blieben in ihren Boxen. Gerade Flavio Briatore, soll sich in dieser Phase zu stark mit der FIA angelegt haben. Benetton drohte kurzfristig sogar der Ausschluss. Später in der Saison sollten diese Querelen noch mal eine Rolle spielen.
Im 1. Qualifikationstraining fuhren aber alle wieder. Michael eroberte souverän Platz 1, mit über einer Sekunde Vorsprung auf den zweiten Mika Häkkinen. Der Samstag kannte auch nur einen Fahrer an der Spitze. Sowohl im Training als auch in der 2. Qualifikation (0,6 Sekunden) führte Michael die Zeitentabelle an.

Die Führung nach dem Start behielt Michael vor Hill, Häkkinen, Alesi, Lehto, Berger und Coulthard. Von Runde zu Runde wurde der  Vorsprung auf Hill größer. „Es sah alles nach einem leichten Sieg aus.“ Bis zur 22. Runde. „Das Auto hat am Anfang perfekt gearbeitet aber dann wollte ich in die anderen Gänge schalten und es ging nicht.“ Er musste einen Notruf an die Box absetzen: „Gearbox Problem, ich steck‘ im 5. Gang.“ Sein Renningenieur, Pat Symmonds, sauste hinter die Box, analysierte das Problem anhand der Telemetrie, funkte dann zurück: „Ich weiß, was los ist, kann dir aber nicht helfen. Fahr weiter, mach ein paar Punkte für die WM.“ Leichter gesagt als getan, denn Michael musste noch zu seinem Boxenstopp. Und das im 5. Gang! Der Benetton-Ford machte Rennstarts mit 12.000 U/min, drehte bis knapp unter 15.000 U/min, aber in Barcelona fuhr Michael mit 14.000 U/min aus der Box und schaffte es „sehr sehr sanft, mit sehr viel Kupplung und viel Drehzahl“, dass der Motor nicht abstarb.

Hill hatte in der Zwischenzeit die Spitze übernehmen können und führte das Feld vor Michael, Häkkinen und Mark Blundell an.

Die ersten Runden nach seinem Boxenstopp war er noch langsam, aber dann sausten die Rundenzeiten nach unten. Michael erinnerte sich an die Gruppe C, wie er damals fahren musste, um Sprit zu sparen. Seine schnellste Rennrunde: nur eine Sekunde langsamer als vor dem Getriebeschaden! „Hat mich selbst überrascht. Aber meine Gruppe-C-Erfahrung hat mir sehr geholfen, meinen Fahrstil umzustellen, meine Linie zu ändern – es gibt da gewisse Möglichkeiten: wenig bremsen, immer mit Power-Überschuss fahren, das Auto fliegen lassen – wie in der Formel III mit ihren 180 PS. Ich hab‘ so meine Geheimnisse. Aber mehr mag ich darauf nicht eingehen.“

Michael konnte den zweiten Rang retten, auch weil sich sein ärgster Verfolger, Häkkinen, in Rauch auflöste. Mit nur 24 Sekunden Abstand auf Damon Hill durfte er sich im Ziel dann auch wie ein Sieger fühlen. „Ehrlich gesagt habe ich nie damit gerechnet, doch noch ins Ziel zu kommen.“

Der Kampf gegen Damon Hill und die FIA hatte begonnen…

Quellen: FIA Saison Review 1994. Heinz Prüller „Michael Schumacher – Wunderkind und Weltmeister“, 1994. Claus-Peter Andorka "Michael Schumacher", aktualisierte Ausgabe 2000.

11. Rennen der Saison '95

Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps

27. August 1995

1994 war der Titelkampf zwischen Damon Hill und Michael bis zum dramatischen Finale in Australien offen geblieben. 1995 aber hatte der Brite keine Chance. Weder mental, noch vom reinen Fahrkönnen her, war Hill in der Lage, dem Titelverteidiger das Wasser zu reichen. Mitte der Saison fragte man dann auch nicht mehr wer Weltmeister werden würde sondern nur noch wann Michael seine Titelverteidigung feiern könnte.

Die Höhepunkte für Michael waren in diesem Jahr sicherlich Hockenheim, Spa, Nürburgring und Aida.

In Hockenheim konnte er seinen ersten Heimsieg feiern. „Dieser Sieg ist für mich fast so bedeutend wie mein Weltmeistertitel. Die Emotionen sind im Moment sogar noch tiefer, hier, vor diesem Super-Publikum. Ich finde noch keine Worte, das zu beschreiben. Es ist verrückt, hier zu Hause, es hat hier noch nie einen deutschen Sieger gegeben. Es ist ein Traum, eigentlich kann man so etwas nicht träumen, das ist Gänsehaut, da kommen einem die Tränen, das ist wie auf Wolke sieben.“ Von seinen Fans wurde er im seit Monaten ausverkauften Motodrom von Hockenheim überschwänglich gefeiert.  „Normalerweise lauscht man gegen Ende des Rennens aus Angst vor einem Defekt nur noch den Geräuschen seines Autos. Aber in Hockenheim habe ich nur noch den Jubel der Fans und die unzähligen Böllerschüsse gehört. Es war unglaublich.“ Den einzigen Fehler an diesem wunderschönen Sonntag leistete Michael sich in der Ehrenrunde: „Ich wollte den Fans zuwinken – und dabei habe ich den Motor abgewürgt.“ Ein Abschleppwagen zog Michael und seinen Benetton dann um die Strecke.
Auch die Wochen zwischen Hockenheim und Spa waren von großer Bedeutung für Michael. Er feierte seine Hochzeit mit Traumfrau Corinna und gab 6 Tage nach dem Ungarn Rennen bekannt, dass er für 1996 einen Vertrag bei Ferrari unterschrieben hatte.
Doch bevor Michael seinen Dienst in Italien antreten konnte, musste er noch die Pflichtübung erfüllen, den zweiten Weltmeistertitel für Benetton unter Dach und Fach zu bringen.

Die nächste Station war Spa. Und dort feierte man die „Wiedergeburt“ des Streckenabschnittes Eau Rouge. Piloten und Zuschauer freuten sich gleichermaßen darüber, dass die 1994 gefahrene Schikane spurlos verschwunden war. Neue Auslaufzonen sorgten für mehr Sicherheit in diesem Streckenabschnitt.

Auf nasser Piste belegte Michael hinter Gerhard Berger noch Platz zwei im 1. Qualifikationstraining. Doch am Morgen des zweiten Trainingstages erlebte Michael ein böses Intermezzo. In den Schlussminuten des freien Trainings krachte er frontal knapp unterhalb von Les Combres gegen die Leitplanken, sein Auto drehte sich, schlug noch einmal mit dem Heck an, bevor es sich dann weiter zurück auf die Strecke drehte. Die Telemetrie verriet ein Einschlagstempo von 150 km/h! Michael hatte dabei noch wahnsinniges Glück, dass er beim ersten Einschlag die letzten Reifenstapel noch erwischte, die die Leitplanke polsterten. Trotz der Reifen reichte die Aufprallenergie, um Michaels Sturzhelm einen Knacks zu verpassen… Michael nahm danach den Zwischenfall voll auf seine Kappe. Er verlor den Benetton aus der Kontrolle, weil er ihn zuvor versehentlich auf die Kerbs lenkte. Der Zwischenfall sollte noch Folgen haben.
Während die Vorbereitungen für das Abschlusstraining auf vollen Touren liefen, wanderten die Blicke der Piloten und Teamchefs immer wieder Richtung Himmel. Die Bahn selber war noch trocken, aber über Stavelot türmten sich dunkle Wolken auf, die von Minute zu Minute bedrohlicher wirkten. Bereits fünf Minuten bevor der Ausgang der Boxengasse freigegeben wurde, postierten sich die ersten Autos und warteten auf das „Go“. Jetzt oder nie hieß die Devise, denn auf trockenem Asphalt ließen sich die Vortagszeiten mühelos unterbieten.
Als die Piste freigegeben wurde rollten fast alle Boliden hinaus auf die Bahn. Vermisst wurden allerdings die beiden Benetton. Michael machte seiner Crew keine Vorwürfe: „Die reparieren noch mein Auto, und ich war ja schließlich der Idiot, der es heute Morgen rauswarf.“ Sein Teamkollege fehlte, weil sich das komplette Team schraubend auf den Wagen von Michael stürzte.
Wer nicht zu den Fahrern der ersten Minuten zählte, wurde böse bestraft: Innerhalb von nur 6 Minuten wurde Michael vom zweiten auf den 17. Startplatz nach hinten durchgereicht! Inzwischen hatte auch der Regen eingesetzt…
Eine halbe Stunde später begann die Strecke wieder abzutrocknen – bis auf Platz neun kämpfte sich Michael wieder vor. Alles schien sich für ihn doch noch zum Guten zu entwickeln, doch dann spielte sein Getriebe verrückt: Wenn er den sechsten Gang einlegte, schaltete der Bordcomputer eigenmächtig in den fünften zurück. Der Renault-V10 im Benetton betrat mit 19.000 U/min Neuland... Die zuvor zurückeroberten Ränge gingen wieder verloren. Erst bei Platz 16 wurde der freie Fall gestoppt. Seinem Rivalen Hill erging es nicht viel besser. Beim Versuch sich von Rang acht nach ganz vorne zu fahren strandete er im Kies. Das Training war für beide gelaufen.

Die Poleposition konnte sich Gerhard Berger vor Jean Alesi, Mika Häkkinen und Michaels Teamkollege Johnny Herbert sichern.

Berger konnte seine Poleposition allerdings nicht nutzen und fiel beim Start hinter Jean Alesi und Johnny Herbert zurück. Die Nase des Irvine’schen Jordan berührte beim anbremsen in die erste Kurve David Coulthards Williams am Heck und beschädigte eine Ölleitung, was noch Konsequenzen haben sollte. Alesi und Herbert fighteten unterdessen die ersten Runden um die Spitze, es ging hin und her. Mika Häkkinen fiel schon am Beginn der zweiten Runde aus. In Runde vier war dann auch das Rennen für Alesi beendet, seine hintere rechte Aufhängung hatte ihren Dienst eingestellt. Die Führung übernahm so wieder Herbert. Hill lag nun schon auf Platz 3 und Michael hatte sich schon fast in die Punkteränge vorgekämpft.
Lange konnte Herbert seine Führung allerdings nicht behalten, denn unter dem Druck von Coulthard unterliefen im 2 Dreher die ihn auf Position 6 zurück warfen. Doch auch der nun führende Coulthard durfte sich nicht lange über Platz 1 freuen, denn durch die beschädigte Ölleitung war für ihn in Runde 14 Schluss. Führungswechsel Nummer fünf brachte Hill an die Spitze. Der Vizeweltmeister schien auf der Siegerstraße, denn 18,4 Sekunden Vorsprung auf Berger, dem Michael mit nur zwei Zehntelsekunden Rückstand schon im Nacken sah’s, waren ein komfortables Polster. Aber es sollte anders kommen. Die Boxenstopps standen an, und weil Michael länger draußen blieb als die Beiden vor ihm, übernahm er nach 16 Runden erstmals an diesem Tag die Führung. „Ich fühlte mich“, sagte er später, „ans Go-Kart-Fahren erinnert. Da startete ich auch manchmal von ganz hinten und musste mich durchs Feld kämpfen.“ Als auch er Sprit und neue Reifen holen musste, fiel er auf Platz 2 hinter Hill zurück. Berger spielte in diesem Kampf keine Rolle mehr, er kam wegen defektem Motor nicht mal mehr ins Ziel.
Ab Runde 20 brachte sich ein anderer unberechenbarer Faktor ins Spiel: Regen. Hill reagierte darauf zu vorschnell und ließ sich schon in Runde 21 ein zweites Mal an seiner Box blicken um sich Regenreifen abzuholen. Michael ging deshalb wieder in Führung.
Auf nun unterschiedlicher Bereifung, lieferten sich Michael und Hill ein wildes Duell. Um den Briten hinter sich zu lassen zog Michael alle Register – dies sollte ihm nach dem Rennen noch etwas Ärger einbringen. Trotz der Gegenwehr fand Hill in Runde 24 einen Weg am Benetton vorbei, weil dieser auf der feuchten Strecke kurz aufs Gras ausweichen musste. Kurz darauf hatte aber auch Hill Probleme auf einem trockenen Streckenabschnitt wo seine Regenreifen ihre Bodenhaftung verloren – Michael nutzt die Gunst der Sekunde und zog wieder an dem rutschenden Williams vorbei.
Hill konnte den Anschluss an Michael nicht mehr halten und lies sich zwei Runden später wieder Trockenreifen aufziehen. Eine halbe Minute trennte die Beiden. Doch nun wurde das ganze etwas seltsam. Es hatte wieder angefangen zu regnen und plötzlich wurde das Safety-Car auf die Strecke geschickt. Der FIA Sicherheits-Chef Roland Bruynseraede sprach als Begründung von „starkem Regen“ und schlechten Sichtverhältnissen. Das merkwürdige daran war, dass nur er dieses Handicap wahrzunehmen schien. Mark Blundell verteidigte zwar später die FIA-Maßnahme, und Heinz-Harald Frentzen meinte, aus Gründen der Spannung sollte das Safety-Car ohnehin viel öfter ausrücken, aber zurück blieb ein fader Beigeschmack. Der Verdacht: Hill sollte die Gelegenheit zum Wettmachen seines Rückstands gegeben werden…
Michael und Hill kamen nun beide in der neutralen Phase an die Box um sich Regenreifen abzuholen. Dabei allerdings unterlief Hill nun ein Fehler. Er überschritt das Speedlimit in der Boxengasse um mehr als 30! km/h. In Runde 31 hatte dann auch das Safety-Car den Spitzenreiter gefunden und sich vor Michael, den überrundeten Moreno und Hill gesetzt. Weiter hinten klaffte eine Lücke von 31. Sekunden, weil Taki Inoue nicht nach vorne aufschloss.

Die letzten 12 Runden durften dann ungebremst abgespult werden.  Aus dem erhofften Duell Michael contra Hill wurde allerdings nichts, denn der Williams-Pilot musste noch seine 10 Sekundenstrafe wegen „Speedings“ absitzen. Seinen 2. Platz verlor er so kurzfristig an Martin Brundle, konnte diesen aber wieder zurückerobern.

So standen am Ende Michael vor Hill und - erstmals 1995 - Brundle auf dem Podest. Doch Hill war sauer: „Sofort nach dem Rennen sagte ich Michael, dass ich mit seiner Fahrweise nicht einverstanden bin. Im Infight berührten wir uns mit den Rädern. Er machte das Absichtlich.“ Michael jedoch sah das in der PK gelassen: „Es kommt darauf an, wann. In langsamen Kurven kann man schon mal mit den Rädern aneinander geraten. Solange das bei langsamem Tempo passiert, ist es doch nicht schlimm. Da passiert doch nichts dabei, das ist kontrollierbar. Im Go-Kart-Sport geschieht das oft.“ Dieses Argument lässt Hill nicht gelten: „Hier sind wir in der Formel 1, nicht bei den Go-Karts“, knurrte er. Michael darauf leicht belustigt: „Du solltest mal Go-Kart fahren, das ist wirklich gut.“

Den Sportkommissaren gefiel das aber wohl auch nicht so gut: Ein Rennen sperre auf Bewährung (für vier Rennen) wegen gefährlicher Fahrweise. „Ich habe kein Verständnis für das Urteil. Natürlich gehen wir in Berufung.“ Wenige Tage später zog Benetton den Berufungsantrag jedoch wieder zurück. Zu groß war das Risiko, bei der Verhandlung noch härter bestraft zu werden. Man hatte aus Silverstone 1994 gelernt.
Was Michael nicht wissen konnte: Beim nächsten GP in Monza nicht starten zu dürfen, wäre kein Nachteil gewesen: Damon Hill schickte den Weltmeister in der 24. Runde ins Kiesbett – aber auch Hill war damit draußen.

Quellen: FIA Saison Review 1995. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.

14. Rennen der Saison '95

Der Große Preis von Europa auf dem Nürburgring

1. Oktober 1995

Nach dem grandiosen Rennen in Spa, der Nullrunde in Monza und einem zweiten Platz in Portugal stand für Michael sein zweiter Heim-GP auf dem Programm. Erstmals seit 1985 gastierte die Formel 1 wieder im Schatten der Nürburg. Diesmal jedoch nicht mehr auf der legendären Nordschleife sondern auf einer neu gebauten Strecke.  

Im ersten Qualifikationstraining gab das Williams-Duo den Ton an. David Coulthard fuhr vor Hill Bestzeit. Michael musste sich mit Rang drei begnügen. „Ich fuhr auf der letzten Rille“, sagte er, „mehr war nicht drin. Es wird sehr schwierig, an diesem Wochenende vor den Williams ins Ziel zu kommen.“
Als Bertrand Gachot (1991 derjenige der im Gefängnis landete und Michael sein Auto überlassen musste) nach dem ersten Zeittraining im Fahrerlager auftauchte und sich über die Ergebnisse des Tages informierte, hörte er  was Michael erklärt hatte. „Michael macht sich doch wegen Damon keine ernsthaften Sorgen, der weiß doch genau, dass er den Deppen schlagen wird – das ist doch viel zu einfach.“ Gachot selber war inzwischen Mittbesitze des  Pacific-Ford-Rennstalls und fuhr die Saison 1995 auch selbst elf Rennen. Am Nürburgring war er allerdings nur Zuschauer.
Als das Abschlusstraining am Samstag begann, war die Bahn nass. Bei niedrigen Temperaturen verdunstete das Regenwasser nur sehr, sehr langsam. Lange Zeit tat sich deshalb nichts auf der Strecke. Niemand war bereit, die Piste für die Gegner trockenzufahren. Damon Hill war der erste der von den Top-Piloten drei Minuten vor Halbzeit auf eine Schnupper-Runde ging. Unterm Strich verbesserten aber nur 7 Fahrer ihre Vortageszeiten, denn bis in die Schlussminuten blieb es im Castrol-S und in der Zieleingangskurve feucht. Die Reihenfolge für den Start lautete also wie am Vortag: Coulthard vor Hill, Michael und Berger. Dahinter kamen dann Irvine und Alesi.

Hill zeigte sich unterdessen wieder zuversichtlich für den Rest der Saison, nachdem er im Rennen zuvor schon fast resigniert hatte: „Am Sonntag werden sich einige Leute wundern. Knapp 25 Prozent der Meisterschaft liegen noch vor mir, das reicht aus, um Schumacher noch abfangen zu können.“ Der WM-Stand lag zu diesem Zeitpunkt bei 72 zu 55 Punkte für Michael.

Am Morgen des Renntages zeigte sich die Region erneut von ihrer unfreundlichsten Seite: 7,1 Grad Lufttemperatur, der Asphalt war keinen Zehntelgrad wärmer. Und weil tiefhängende Wolken die Sicht raubten, weigerten sich die Piloten, pünktlich ins Warm-up zu starten. Der Zeitplan geriet aber nur geringfügig durcheinander: Mit nur 35 Minuten Verspätung wurden die letzten Trainingsrunden abgespult. Eigentlich hätte man nun den Rennstart von 14 auf 14:35 Uhr verschieben müssen doch man entschloss sich stattdessen einfach nur die vorgeschriebene Mittagspause zu verkürzen.

Für Coulthard verringerten sich die Chancen auf einen Sieg schon vor dem Start. In den letzten Scheckrunden drehte er sich von der Strecke und musste im auf Hill abgestimmten Ersatzwagen an den Start gehen.  
Die Strecke war nass, aber es regnete nicht mehr. Damit wurde die Reifenwahl zum Poker. Aber kein Team ließ sich in die Karten blicken. Doch als das Geheimnis gelüftet wurde war klar: Alle außer Jean Alesi und den beiden McLaren-Fahrern waren auf Nummer Sicher gegangen und hatten Regenreifen aufgezogen.

Als die 24 Piloten auf die Reise geschickt werden sollten, signalisierte Massimiliano Papis Probleme – die Prozedur wurde abgebrochen. Doch anstatt dessen Auto nun zügig wegzuschieben, schoben ihn die Streckenposten von hinten nach vorne durchs Startfeld. Eine zweite Einführungsrunde wurde notwendig. Auch beim zweiten Start signalisierte ein Fahrer Probleme, doch weil dieser ganz hinten stand wurde der Start freigegeben.
Erinnerungen an Gachots spöttische Worte wurden wach, als sich Michael schon auf den ersten Metern an Hill vorbeischieben konnte. Coulthard, Michael, Hill, Irvine, Herbert und Alesi hieß die Reihenfolge auf den ersten sechs Plätzen.
In Runde elf kamen Michael und Hill zu ihrem ersten Boxenstopp,  Coulthard im Anschluss an die zwölfte Runde. Somit hatte das Rennen mit Alesi einen neuen Spitzenreiter, und der blieb zunächst auch vorne, denn er war auf einer Ein-Stopp-Taktik unterwegs. Hinter dem Slick bereiften Ferrari, der zeitweise einen Vorsprung von mehr als 40 Sekunden halten konnte, fighteten die zwei Williams-Fahrer und Michael. Am Steuer des T-car fiel der Schotte recht schnell hinter die beiden Titelanwärter zurück, die sich einen offenen Schlagabtausch lieferten. Den Höhepunkt erlebte das Duell in Runde 16 mit gleich zwei Überholmanövern. Zunächst kämpfte Hill sich an Michael vorbei, der dem Briten kurz darauf in der Zielkurve keine Chance zur Gegenwehr ließ. Während Hill zu weit nach außen getragen wurde und sich dabei fast noch drehte, schlüpfte Michael innen wieder vorbei. Entschieden war der Kampf jedoch nicht vor der 40. Runde.
Alesi war nun auch endlich auf neuen Reifen unterwegs und führte knapp vor Hill, der aufgrund des Boxenstopp-Rhythmus vor Michael lag. Immer näher kämpfte sich Hill an den Franzosen heran… Zu nah, denn in einer Schikane zerbrach der Frontflügel des Williams am Heck des Ferraris. Hill musste zwar ohnehin noch an die Box aber nach 32,2 Sekunden Aufenthalt  war er nur noch vierter hinter Alesi, Michael und Coulthard. Während Hill verzweifelt bemüht war, Anschluss an Coulthard zu finden, dachte Michael erstmals über den möglichen Sieg nach. „45 Sekunden Rückstand auf Jean“, sollte er später zu Protokoll geben, „das schien bei mehr als 20 Runden Restdistanz keine unlösbare Aufgabe zu sein. Dann gab man mir per Funk die Nachricht, ich müsste noch mal an die Box…“
Als Michael diesen Stopp nach 52 Runden einlegte, folgte er dem Ferrari bereits mit weniger als einer Sekunde Rückstand. Der Halt machte daraus wieder 22,3 Sekunden Abstand.
Sieben Runden später war der Abstand schon nur noch 10,9 Sekunden auf Alesi – Hill flog unterdessen in die Reifenstapel. „Seit der Kollision mit Alesi war meine Lenkung schwergängig“, entschuldigte er sich.
Da sein WM-Rivale nun aus dem Rennen war, hätte Michael einfach auf ankommen fahren können. Doch er wollte mehr und blies zum letzten Angriff. Sollte er bei der Jagt abfliegen würde er ja immer noch mit einem 17 Punkte Polster ins nächste Rennen starten.
Immer näher kam der Benetton dem roten Spitzenreiter. Der wurde ständig durch Nachzügler aufgehalten. Alleine in Runde 61 verlor er 5,4 Sekunden, weil er über die Wiese musste.
In der drittletzten Runde war es dann soweit, Michael war so dicht an Alesi dran, dass er sich durch ein klasse Manöver in der Schikane vor Start und Ziel außenherum an Alesi vorbeischieben konnte. Unter dem tobenden Applaus der deutschen Fans ging er in Führung und gab diese bis ins Ziel auch nicht mehr ab.  Heimsieg Nummer zwei war unter Dach und Fach. Sogar Hill applaudierte am Streckenrand.

Weltmeister dürfe er sich jetzt noch nicht nennen, sagte er anschließend, aber die drei fehlenden Punkte werde er auch noch holen.

Ein Rennen später in Aida/Japan und zwei Rennen vor Schluss kam es dann auch wie es kommen musste: Der zweite Titel war Sicher. Standesgemäß holte er sich seinen zweiten Titel diesmal mit einem Sieg. Auch gefeiert wurde Standesgemäß, wie man das bei Michael bis heute gewohnt ist. „Jetzt lass ich mich volllaufen.“ Gemeinsam mit den Crews von Benetton und Renault überschwemmte er bis drei Uhr morgens Restaurant und Foyer des Tanaka-Buildings bei Start und Ziel. Michael mit nacktem Oberkörper und einer Zigarre im Mundwinkel, das war ein seltener Anblick – der Alkohol machte es möglich. Dem japanischen Personal standen die Haare zu Berge, während der Teppichboden literweise Bier, Wein und Champagner aufsaugte. Keiner der Gäste trug mehr trockene Kleidung. Nur Ron Dennis kam ungeschoren davon, aber der flüchtete auch bereits frühzeitig durch die Küche und einen Hinterausgang. Mercedes-Sportchef Norbert Haug hingegen erwischte es voll: Michael goss ihm zur Begrüßung eine Flasche Rotwein in den Kragen seiner Lederjacke. Der Champion am nächsten Mittag: „Es war wohl ein Fehler, Bier und Wein durcheinander zu trinken. Das spezielle Weltmeistergefühl, das ich 1994 in Adelaide spürte, fehlte gestern – ich war zu besoffen. Aber das macht nichts, ich hatte es diesmal schon am Nürburgring, auch wenn noch ein paar Pünktchen fehlten.“

Quellen: FIA Saison Review 1995. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.

7. Rennen der Saison '96

Der Große Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya in Barcelona

2. Juni 1996

Michaels Wechsel zum Traditionsrennstall war die große Sensation gewesen, vielerorts mit Unverständnis quittiert: Die Scuderia war letztmals 1990 eine Macht im GP-Sport gewesen. Aber noch vor Saison Beginn sprach Michael vom Siegen: „Es wird 1996 nicht zum Titel reichen“, sagte er klar, „aber ein paar Rennen können wir gewinnen.“ Eine sehr optimistische Aussage, denn nach 1990 hatte Ferrari gerade mal zwei GP gewonnen…

Auch 1996 wollten am Anfang noch keine Siege kommen. Vielmehr wurden Michael und sein Team auf eine harte Geduldsprobe gestellt: Melbourne – Ausfall,  Brasilien – Platz 3, Argentinien – Ausfall, Nürburgring – Platz 2, Imola – Platz 2, Monaco – Ausfall. Der Beginn war ein einziges Auf und Ab. Erst in Spanien sollte es den erlösenden ersten Ferrari Sieg für ihn geben. Und was für einen!

Michael war ohne große Erwartungen angereist. „Das ist kein Kurs für unsere Autos“, erklärte er, „erst in Montreal werden wir wieder besser aussehen.“ Und damit, so betonte er ausdrücklich, wolle er keinen Zweckpessimismus verbreiten.
Im Qualifying kam es dann auch so, wie er es vorhergesagt hatte: Hill und Villeneuve gaben klar den Ton an. Michael fehlte zur Pole, die sich der Brite locker sicherte, fast eine volle Sekunde. „Im Rennen wird’s vielleicht noch schlimmer.“
Doch scheinbar wollte der Wettergott sich ein solches Elend nicht anschauen und brachte die Wende. In der Nacht auf Sonntag begann es zu regnen. Williams-Ingenieur James Robinson sagte später: „Um 4:30 Uhr sah ich aus dem Fenster meines Hotelzimmers und es goss in Strömen.“ Er hätte, im Sinne seines Teams, wohl besser weiter geschlafen, denn später sollte er die falschen Schlüsse aus seinen Beobachtungen ziehen. Für Michael allerdings hätte nichts Besseres passieren können.
Im nassen Warm-up hatten Michael und seine Techniker schon längst die Chance zum Poker-Spiel erkannt: Konsequent wurde sein F310 auf Regenwetter abgestimmt. Bei Williams erinnerte sich hingegen Robinson an seine Beobachtung. Weil es ja unmöglich „so lange ununterbrochen regnen kann“, wählte man bei Williams trotz der düsteren Prognosen ein Misch-Set-up, das ein Abtrocknen der Piste im Verlauf der zweiten Hälfte des Rennens einkalkulierte.

Der Start brachte die ersten Überraschungen. Villeneuve beschleunigte perfekt, als die Lichter der Ampel verlöschten. Hill hingegen schien kurz zu zögern, bevor er gefühlvoll Gas gab und verlor zwei Plätze, denn auch Alesi ging an ihm vorbei.
Schlimmer noch als Hill erwischte es allerdings Michael. Beinahe würgte er den V10 seines Ferraris ab. „Mein Start war ein Desaster“, sollte er nach dem Rennen sagen, „ich hatte Probleme mit der Kupplung. Als ich die Kupplung betätigen wollte, war da nichts. Ich versuchte es ein weiteres Mal. Ich hatte offenbar eine Kupplung die mal funktionierte und dann wieder nicht. Ich weiß nicht, wie viele der anderen mich überholten. Sogar Diniz und solche Leute flogen vorbei. Aber ich hatte Glück im Unglück – niemand knallte mir ins Heck.“
Während sich Michael darüber wunderte, „wie wenig man sieht, wenn man bei Regen hinten im Feld liegt. Ich hatte wirklich Angst, ich würde mit irgendjemandem kollidieren“, forderte die Blindflug-Orgie ihre ersten Opfer. Gleich fünf Piloten strandeten im Verlauf der ersten Runde. Ein weiterer schleppte seinen ramponierten Boliden gerade einmal über den Zielstrich, bevor er ihn in den Boxen abstellten musste. Zu denen, die sofort Feierabend machen durften, zählten Oliver Panis und David Coulthard.
Michael kam auf Position sechs aus der ersten Runde zurück. 6,2 Sekunden trennten ihn von Spitzenreiter Villeneuve. Einen Umlauf später fehlte Michaels direkter Vordermann, Eddie Irvine. Der hatte seinen Boliden im Kies festgefahren. So machte der Weltmeister – auf Kosten seines Teamkollegen – einen Platz gut, aber der Rückstand wuchs: Jetzt fehlten ihm bereits 7,2 Sekunden auf den Kanadier.
Auch die dritte Runde ging an die Startnummer sechs. Michael konnte keinen Platz gut machen und verlor gleichzeitig weitere 1,2 Sekunden. Runde vier brachte die Wende. Damon Hill, zuvor unveränderter dritter, unterlief der erste von drei Patzern. Erst hinter dem roten Ferrari des Champions konnte er sein Auto wieder auf den korrekten Kurs steuern. Michael „erbte“ den Platz und machte erstmals Boden auf Villeneuve gut: Eine Zehntelsekunde nahm er ihm ab.
In Verlauf der nächsten Runde passierte die „Rote Eins“ Gerhard Berger, als handle es sich um einen lästigen Hinterbänkler. 6,4 Sekunden fehlten ihm nun zur Spitze. Auffällig wurde in dieser Phase des Rennens wie anders, im Gegensatz zur Konkurrenz, die Linie war die sich Michael auf der Strecke durch den Regen suchte. Beim nächsten Umlauf machte er richtig Boden gut und verkürzte den Abstand auf 2,7 Sekunden. Es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis er zum großen Schlag ausholen sollte. Aber Michael überstürzte nichts auf dem Seifenglatten Asphalt, Runde sieben brachte ihn bis auf 1,7 Sekunden an Villeneuve heran, der unverändert durch Alesi abgeschirmt wurde. Michael lauerte und beobachtete seine Vorderleute. Während des nächsten Umlaufes verlor er erstmals wieder vier Zehntel auf den Spitzenreiter. Wie schwierig die Bedingungen immer noch waren wurde wieder deutlich als Hill sich im Verlauf derselben Runde erneut drehte und vom fünften auf den achten Rang zurückfiel.
In Runde neun machte Michael erstmals ernst und schnappte sich Alesi, der bei Nässe eigentlich keine Gegner zu scheuen brauchte. Doch bei Villeneuve nahm er sich erneut Zeit. Voll im Spray des Spitzenreiters, wartete er zwei Runden lang. Dann, inzwischen lief Runde zwölf, machte er den Sack zu. Mit 2,9 Sekunden Vorsprung vor Villeneuve tauchte er als Führender bei Start und Ziel auf. Der Kanadier sagte später: „Als Michael mir näher kam, wusste ich, dass er mich überholen würde. Mein Plan sah vor, mich dann sofort an ihn zu hängen und ihm zu folge. Aber das ging nicht. Er lies mich exakt an jener Stelle stehen, wo er mich vernascht hatte.“ Tatsächlich wuchs Michaels Vorsprung von Runde zu Runde dramatisch an: Den 2,9 Sekunden folgten 6,6 - 10,5 - 14,9… Die Show des Weltmeisters war gigantisch.
Hill war zu diesem Zeitpunkt schon längst ausgeschieden. Sein dritter Fehler war auch sein letzter. Vorne setzte Michael seine One-Man-Show perfekt fort. Dahinter folgten im wachsenden Abstand Villeneuve, Alesi, Berger und Barrichello. Alle vier brauchte der führende Ferrari-Pilot nicht zu fürchten – wohl aber die Technik. Zu Beginn der 33. Runde spitzten die Beobachter bei Start und Ziel ihre Ohren: Der rote Bolide tönte unsauber! Eindringende Nässe hatte zwei Zylinder lahmgelegt. Michael: „Natürlich verlor ich deshalb an Leistung, aber bei dem Regen war das kein Problem. Schlimm war, dass ich befürchtete auszufallen.“ Aber der Ferrari hielt durch – vorläufig ein letztes Mal, denn vor dem 28. Juli sollte Michael die Zielflagge nicht mehr zu Gesicht bekommen: Montreal: Ausfall wegen defekter Antriebswelle. Frankreich: Motorschaden in der Einführungsrunde. Silverstone: Ausfall, Getriebehydraulik…  Seinem Teamkollegen erging es jedoch noch schlimmer. Irvine erreichte erst beim vorletzten Rennen noch einmal für die Saison das Ziel.

Dank der perfekten Rennabstimmung und seinem fahrerischen Können war Michael im Regen von Barcelona eine Klasse für sich, fuhr sein eigenes Rennen. Am Ende lag er 45 Sekunden vor Alesi, der es geschafft hatte noch an Villeneuve vorbei zu kommen, und wurde nach dem Rennen gefeiert wie ein Supermann von einem anderen Stern. Doch das war nebensächlich. Wichtiger war die Tatsache, dass er zusammen mit Villeneuve den zweiten Platz in der Weltmeisterschaftswertung einnahm. Beide hatten 26, Hill an der Spitze 43 Punkte.
„Es ist einfach erstaunlich. Wenn mich jemand gefragt hätte, darauf zu wetten, hätte ich nicht einmal einen Pfennig riskiert.“ Nur eines hatte der Sieger an seinem Ferrari zu bemängeln: „Ich werde mir eine Heizung einbauen lassen. Ich fror wie ein Schneider, und auf dem Podest konnte ich die Hymnen nicht hören, so sehr klapperten meine Zähne.“

Quellen: FIA Saison Review 1996. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.

14. Rennen der Saison '96

Der Große Preis von Italien auf dem Autodromo Nazionale Monza in Monza

8. September 1996

Dem Sieg im Spanischen Regen folgte ein Sommeranfang zum vergessen. Drei Rennen lang sah keiner der beiden Ferraris die Zielflagge. Höhepunkt dieser Ausfallserie war der Motorschaden von Michaels Ferrari schon in der Einführungsrunde zum Frankreich Grand Prix. In der Ferrari-Box packte Jean Todt das nackte Grausen: „Das ist mein schwärzester Tag im Motorsport.“
Michael jedoch hatte seine Gefühle auf dem Weg zurück zur Box erstaunlich schnell wieder im Griff. „In so einer Situation darf man sich nicht gehenlassen, egal, wie enttäuscht man ist“, sagte er und richtete gleich noch eine eindringliche Warnung an die Meute der italienischen Journalisten, die sich bereits auf den Teamchef als Sündenbock für die Debakel dieser Saison eingeschossen hatten: „Wenn ihr jetzt den Kopf von Todt fordert, macht ihr Ferrari kaputt.“
Drei Rennen später folgte die glückliche Wende. Man gewann in Spa: „Das ist ja pures Hollywood“, strahlte Michael nach seinem 21. Grand-Prix-Sieg und konnte sein Glück kaum fassen. „Aber scheinbar sind wir immer dann besonders gut, wenn uns keiner etwas zutraut oder wir im Training schlimme Probleme haben.“
Auf dem anspruchsvollen  Kurs in den Ardennen war es ein schwerer Unfall im ersten Training, der die Bereitschaft selbst der mutigsten Zocker, auch nur eine müde Mark auf Ferrari zu wetten, spürbar senkte. Ausgangs der Malmedy-Kurve verlor Michael die Gewalt über seinen Ferrari und schlug nach einer 180-Grad Drehung rückwärts in die mit Altreifen gepolsterten Leitplanken ein. Der Aufprall war so hart, dass sein Knie das Lenkrad zerbrach. Ein stark geschwollenes Knie und eine eingehende Untersuchung im Medical Center an der Strecke waren die Folge. Das Nachmittagstraining verbrachte er friedlich schlafend im Ferrari-Motorhome.
Am Tag des Rennens war der Unfall schon wieder ein alter Hut. Denn Michael lieferte den Sensationshungrigen Presseleuten den Stoff, aus dem Helden sind. Die Entscheidung auf der Traditionsrennstrecke fiel, als noch kein Mensch damit rechnete. In der zwölften Runde gab Jos Verstappen seine ureigene Version des Opernklassikers „Der fliegende Holländer“, als er bei Tempo 215 einen furchterregenden Unfall hatte. Das Safety Car musste ausrücken, und in diesem Augenblick schlug die Stunde der Strategen. Michael meldete sich unverzüglich zum Tankstopp an seiner Box. Doch was hinterher als hohe Kunst des Taktierens gefeiert wurde, war schlicht und einfach Glück: „Wenn ich da nicht getankt hätte“, so Michael, „wäre ich ohne Sprit stehengeblieben.“ Konfusion statt Kalkül dagegen bei Williams: Ein total verhauener Boxenstopp kostete Villeneuve den Sieg.
„So langsam“, sagte Michael mit einem breiten Grinsen, „fühle ich mich wie der König von Spa.“ Übertroffen wurde dieses Glücksgefühl nur noch von seinem Sieg in Monza.

Die Trainings für den zweiten WM-Lauf des Jahres auf italienischem Boden verliefen turbulent. Wegen des Wetters und wegen der neuen Flachbortsteine. Samstags fegte der Wind derart über die altehrwürdige Anlage, dass zahlreiche Blätter und kleine Zweige auf den Asphalt wehten. Zunächst wollte niemand auf die Bahn, um für die Kollegen denn Laubsammler zu spielen.
Das Problem Nummer zwei sollte von Freitag bis Sonntag eine wichtige Rolle spielen. Bis ins Vorjahr waren die Kerbs in Monza den Fahrern, Ingenieuren und Mechanikern ein Dorn im Auge: Sie waren zu steil, und außerdem verfügten sie über eine scharfkantige Zähnung, der so mancher Unterboden zum Opfer fiel. Nun waren die Flachbortsteine tatsächlich flach, und der Bereich jenseits der Trennungssteine war durch Verbundpflaster so präpariert, dass er eine bequem zugängliche Abkürzungsfläche bot… Die hohen „Gummisäulen“ waren kein Hindernis. Die Funktionäre handelten: Im Bereich der Kurvenscheitelpunkte wurden Altreifen-Stapel errichtet. Diese waren den Fahrern wiederum zu hoch. Nicht ohne Grund, wie das Rennen zeigen sollte.
Die Poleposition konnte sich Hill vor Villeneuve und Michael sicher. Letzterer wusste inzwischen, wie glücklich sein Sieg in Spa wirklich war. „Der Antrieb der Getriebeölpumpe hätte keine zusätzliche Runde geschafft.“ Jetzt erwartete er allerdings kein weiteres Wunder. Sechs Jahre war es schließlich her, dass Ferrari in zwei aufeinander folgenden Grand Prix siegen konnte. Den letzten Monza-Erfolgt durfte die Scuderia 1988 feiern.
Minuten vor dem Start lüftete Michael in der Startaufstellung vor laufenden RTL-Kameras ein süßes Geheimnis. „Corinna und ich werden Mama und Papa“, strahlte er, setzte den Helm auf, stieg ins Auto und fuhr einem Sieg entgegen.
Doch am Start stahl erst mal ein ganz anderer Michael die Show: Jean Alesi! Von Platz sechs! aus katapultierte sich der Draufgänger an die Spitze. Michael schoss nur die Frage „wo kommt der denn her?“ durch den Kopf. Aber Ausgangs der Ascari Schikane konnte zumindest Hill wieder an Alesi vorbeigehen. Hinter den beiden entbrannte ein Reifenkrieg der besonderen Art. In Runde zwei rammte Villeneuve einen der Reifenstapel im Bereich der zweiten Schikane. Coulthard konnte den Pneus nicht ausweichen, die Lenkung seines McLaren brach, die von Villeneuve war verbogen. In Runde drei wirbelte Alesi, dessen Benetton unbeschädigt blieb, Pneus auf, und Häkkinen tappte in die Falle. Der Frontflügel musste gewechselt werden. Dann die Sensation: Hill nahm in der Variante Goodyear falsch Maß, streifte den Reifenstapel, drehte sich und war aus dem Rennen. Die Reihenfolge an der Spitze lautete nun Alesi  vor Michael, Irvine und Villeneuve.
Zur Begeisterung der Tifosi klebte Michaels Ferrari im Heck des führenden Benettons. Der Boxenstopp sollte die Wende bringen, denn zum Überholen auf der Strecke war der Ferrari zu langsam. In Runde 31 war es Alesi der zuerst zum Service fuhr, Michael hatte somit freie Fahrt. Jetzt lag es an ihm die Entscheidung zu bringen. Wie es seit vergangenen Benetton-Tagen bekannt war, quetschte er - scheinbar auf Knopfdruck – das Maximum aus sich und seinem Auto. Die Rechnung ging auf. Nach 33 Umläufen ging Michael wieder auf die Piste, bevor Alesi vorbeigeflogen war.
Der Franzose erklärte später: „Ich zögerte den Boxenstopp hinaus und wunderte mich, dass Michael weiterfuhr. Ich dachte, er dreht jetzt maximal noch eine Runde, aber er fuhr sogar noch zwei!“ Nicht nur Alesi wunderte sich, sondern auch die Ferrari Crew. Um, befreit vom Vordermann, schnelle Runden fahren zu können, blieb Michael länger draußen als geplant. Einer seiner Ingenieure sagte später nach dem Rennen: „Er hatte unglaubliches Glück. Wir dachten alle, dass er mit leerem Tank stehenbleiben würde…“
Runde 40 brachte dann zum Schrecken aller Tifosi beinahe einen neuen Führungswechsel: Michael kopierte den Hill-Fehler aus der Anfangsphase und streifte die Altreifen. Eine Hand glitt beim Aufprall vom Lenkrad. Der Ferrari drohte aus dem Ruder zu laufen, aber Michael meisterte die Situation mit Können und Glück. Von der Box hatte er das Signal bekommen, es bei inzwischen knapp zehn Sekunden Vorsprung auf Alesi etwas ruhiger angehen zu lassen. „Typisch für eine solche Situation“, erklärte er abends im Fahrerlager, „du nimmst Tempo weg, dann stimmt’s mit der Konzentration nicht mehr. Ich fuhr ja langsam wie mit einem Gruppe C.“ Während des letzten Renndrittels habe er aufgrund der betulichen Gangart viel Zeit zum Nachdenken gehabt, berichtete er später. Dabei sei ihm auch wieder sein Baby in den Sinn gekommen: „Wenn du jetzt rausfliegst, schoss mir durch den Kopf, dann kann ich ihm später erzählen, dass ich in Monza von der Piste gesegelt bin, weil ich an es dachte.“
Nach knapp 80 Minuten war die Sensation perfekt: Michael hatte den Gran Premio d’Italia gewonnen! Die Tifosi stürmten die Piste und bereiteten ihm eine Siegerehrung, die er so schnell nicht vergessen sollte. Noch in Spa hatte er gesagt: „Selbst wenn ich in Monza gewinnen sollte, noch toller als hier kann’s nicht werden.“ Jetzt war er zunächst sprachlos, dann sprach er von „Gänsehaut“ am ganzen Körper. „In Monza mit einem Ferrari zu gewinnen, das ist einfach das Größte. Nach dem Boxenstopp habe ich gemerkt, dass ich vor Alesi lag, als ich wieder rauskam. Das hat man schon an den Massen der geschwenkten Fahnen gesehen. Die Ferrari-Fans haben unheimlich lange gewartet, und ich bin wahnsinnig glücklich, dass ich ihnen den ersten Heimsieg seit 1988 schenken kann. Ich habe noch nie so viele Emotionen gesehen. So zu feiern, ist nur in Italien möglich."
Einer der schönsten Tage in seinem Leben sei das gewesen, jubelte ein völlig gelöster Michael. „Und dass ich dann auch noch heute mein Glück verkünden konnte, Vater zu werden, war noch ein zusätzliches Geschenk.“
Im von Fans belagerten Fahrerlager feiert der Überraschungssieger bis nach 20 Uhr. Immer wieder schoss er Böllerschüsse vom Dach der Rothmans Hospitality. Und über noch etwas durfte Michael sich nach Monza freuen. Er hatte mit Luca di Montezemolo vor Spa abgemacht, dass ihm bei einem Sieg der halbe Preis für einen neuen Ferrari erlassen werden sollte.  Da Michael aber sogar noch zwei Rennen gewinnen konnte musste di Montezemolo einen nagelneuen Ferrari 550 Maranello herausrücken ohne dass Michael irgendetwas dafür bezahlen musste. "Er meinte, bei jedem der nächsten Rennen, die du gewinnst - also die zwei Europarennen, die noch anstanden, Spa und Monza - gebe ich dir 50 Prozent. Ich meinte, da kann ich mit leben. Es kam, wie es kam, ich habe erst Spa und dann noch Monza gewonnen und hatte damit gleich noch ein Auto dazugewonnen", erklärte Michael.

Mit seinem dritten Sieg hatte er das von ihm vor der Saison abgesteckte Plansoll erfüllt. Sein dritter Platz in Portugal und sein zweiter in Japan waren nur noch willkommene Zugaben und bescherten seinem ersten Jahr bei Ferrari, in der er Höhen und Tiefen erlebte, doch noch einen versöhnlichen Abschluss.

Quellen: FIA Saison Review 1996. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.

5. Rennen der Saison '97

Der Große Preis von Monaco in Monte Carlo

11. Mai 1997

In der Saison 1997 war bislang nicht all Zuviel zusammengelaufen für Michael. Australien brachte mit einem zweiten Platz noch ein achtbares Ergebnis, in Interlagos rutschte er auf einen fünften Rang ab und in Argentinien unterlief ihm einer der seltenen Fahrfehler: Schon beim Start katapultierte er sich nach draußen und nahm Coulthard mit. In Imola wies die Formkurve endlich wieder nach oben, er wurde Zweiter hinter Heinz-Harald Frentzen. Und in Monaco, endlich, stand Michael wieder dort, wo er auch hingehörte: Ganz oben.

Im Qualifying legte Michael die Latte mit einer Zeit von 1:18,235 Minuten bereits frühzeitig recht hoch. An der Leistung schienen sich die Konkurrenten die Zähne auszubeißen. Nur Frentzen konnte ihm den besten Startplatz mit 1:18,216 am Ende noch entreißen.

Für den Sonntag sah der Wetterbericht Regen voraus der eine halbe Stunde vor Beginn des Rennens zu einem anständigen Regenguss werden aber bald darauf wieder aufhören sollte. Es war für die Teams eine furchtbar ungenaue Vorhersage, weil man nicht genau einschätzen konnte, auf welches Wetter man sich nun einstellen sollte. Bei Williams setzte man darauf, dass der Regen, der vor dem Rennen tatsächlich eingesetzt hatte, bald aufhören würde. Darum standen Frentzen und Villeneuve auf Slicks in der Staraufstellung. In der Boxengasse dachte ein zögerlicher Michael über die Wahl der Reifen nach. Er hatte einen Ferrari mit Trockenreifen in der Garage, der andere hatte Intermediates als Bereifung. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, weil er einen Wagen in die Startaufstellung bringen musste. Die Entscheidung über die Reifen konnte er dann immer noch treffen.
Todt beobachtete ihn. „Michael zögerte lange. Dann 20 Minuten vor dem Start und fünf Minuten bevor die Boxengasse geschlossen wurde, traf er alleine die Entscheidung und wählte den Wagen mit der Chassisnummer  175 und den Intermediates.“ Das T-car also.
Michael hatte seine Entscheidung sehr umsichtig getroffen. „Ich entschloss mich im letztmöglichen Moment.“ In der Startaufstellung bat er um mehr Flügel und wählte endgültig die Intermediat-Reifen. Zur gleichen Zeit wurden bei Frentzens Wagen neben ihm die Trockenreifen aus den Heizdecken geholt. „Ich war echt erstaunt“, meinte Michael. „Irgendwie verwirrte es mich auch.“ Er wusste genau, dass wenn er einen Fehler gemacht hatte, ein zweiter Boxenstopp notwendig werden würde. Und der würde ihn locker zwölf Plätze kosten.

Doch schon am Start machte Michael deutlich, wer an diesem Tag Herr im Hause war. An Frentzen vorbei stach er in die Ste. Devote-Schikane und katapultierte sich die lange Casino-Steigung hinauf. Dann näherte er sich der Stelle vor dem Tunnel, wo er im Jahr zuvor in den Leitplanken gelandet war. „Als ich in der ersten Runde an diese Stelle kam, war ich super vorsichtig. Während des ganzen Rennens hatte ich zwischen Mirabeau und dem Tunnel die größten Schwierigkeiten. Auf der einen Seite hatte ich den Eindruck, dass ich so langsam war, dass ich hätte aussteigen und nebenherlaufen können, auf der anderen Seite dachte ich, ich würde nicht stark genug verzögern.“ Als Michael das erste Mal über Start und Ziel fuhr hatte er vor dem zweitplatzierten Fisichella, der auch auf Intermediats unterwegs war, schon 6,654 Sekunden Vorsprung herausgefahren. Nicht nur Fisichella fühlte sich abgehängt, auch die anderen Piloten fuhren offensichtlich ein anderes Rennen.
Hinter Michael und Fisichella forderten die rutschigen Pistenverhältnisse erste Opfer: Pedro Diniz traf es bereits in der Eröffnungsrunde. Der nächste Umlauf sah Weltmeister Hill und das McLaren-Duo im Aus. Frentzen und Villeneuve hingegen mussten in der fünften Runde an die Box um auf Regenreifen umzurüsten, die allerdings nicht mit der Trocken-Abstimmung ihrer Rennwagen harmonierten.
Nach nur zehn Runden führte Michael mit knapp einer halben Minute Vorsprung vor Barrichello, dessen Teamkollegen Fisichella, Panis, Irvine und Salo. Wie schwierig es war, sich unter den gegebenen Witterungsbedingungen durchzuschlagen, zeigte ein Blick auf das Durchschnittstempo: Selbst auf seinen schnellsten Runden blieb Michael deutlich unterhalb von 110 km/h.
Der erste Ferrari-Sieg in Monaco seit 1981 wurde immer wahrscheinlicher, zumal sich die Verfolger  weiter dezimierten: Runde zehn brachte das Aus für Johnny Herbert. Wenig später musste auch Villeneuve nach einem Leitplanken "Kuss" mit verbogener Aufhängung kapitulieren.
Langsam zeichnete sich ab, dass die geplante Distanz von 78 Runden innerhalb der zwei Stundengrenze keinesfalls abgespult werden konnte. Nach 32 Runden lies Michael seinem Ferrari Regenreifen aufziehen und neu betanken. Kurz darauf war die endgültige Reihenfolge für den Zieleinlauf schon gefunden. Mit einer Minute Vorsprung führte Michael das Feld vor Barrichello, Irvine, Panis, Salo und Fisichella an.
Doch Michael wäre nicht Michael wenn er es in den letzten Runden nicht noch einmal spannend gemacht hätte. Wie schon in Monza 1996 (und noch einmal in Indianapolis 2000) sorgte er für eine seiner unvergesslichen „Showeinlagen“, die bei seiner Crew und seinen Fans allerdings nicht wirklich beliebt waren.
Zu Beginn der 53. Runde ging Michael ohne jede Not mit zu viel Dampf in die Schikane am Ende der Boxengeraden. Doch er hatte Glück: An dieser Stelle befand sich einer der insgesamt drei Notausgänge. „Ich hätte die Kurve vielleicht geschafft, doch dabei wäre ich das Risiko eingegangen, in den Leitplanken zu landen. Daher nahm ich den geraden Weg in den Notausgang, wendete und war wieder im Rennen.“ Später scherzte er als ihn jemand nach seinem Manöver in Ste. Devote fragte, er hätte dort ein Meer an Ferrari-Fahnen gesehen und wollteden Fans eine kleine Aufregung bieten.

Nach zwei Stunden oder 62 Runden wurde das Rennen abgebrochen. 53,306 Sekunden trennten den Sieger vom zweitplatzierten Barrichello. Ferrari Rennleiter Jean Todt, der seine Beiden Piloten auf dem Siegerpodest wusste, führte ausgelassen einen seiner Freudentänze auf. Dank seines Sieges übernahm Michael auch in der Fahrer-WM die Führung vor Villeneuve. Vom möglichen Titelgewinn wollte der große Held der monegassischen Wasserschlacht allerdings (noch) nichts wissen.

Quellen: FIA Saison Review 1997. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.

12. Rennen der Saison '97

Der Große Preis von Belgien auf dem Circuit deSpa-Francorchamps

24. August 1997

Nach Monaco konnte Michael noch zwei Rennen gewinnen und brachte die WM-Führung mit nach Spa. Nur kurz hatte er sie nach dem Spanien Rennen an Villeneuve abgeben müssen.

Die Ardennen empfingen die Formel 1 donnerstags bei hochsommerlichen Temperaturen. Jeder war begeistert und irritiert zu gleich. Was sich allerdings freitags direkt wieder änderte: Es regnete… Auf dem nassen Asphalt gaben die beiden Benetton-Piloten den Ton an. Michael hingegen wurde nur fünfter.
Das Wetter der kommenden Tage war Gesprächsthema Nummer eins im Formel 1 Lager. Im freien Samstagstraining regnete es zunächst, dann trocknete der Asphalt kontinuierlich ab. Doch ohne die zwei Slick-Varianten ausreichend geprüft zu haben, mussten sich die Piloten vor dem Qualifying für einen der beiden Typen entscheiden. Die Wahl fiel allgemein auf die harten Gummis. Goodyear-Pilot Michael: „Die weiche Mischung war wohl etwas zu optimistisch…“
Hinter Villeneuve und Alesi qualifizierte er sich für den dritten Startplatz – im Reservewagen. Er hatte um die Zeit gekämpft. Nach zwei Drittel des Trainings lag er noch an siebter Stelle.

Das Warm-up verlief unter strahlendem Sonnenschein doch als die Startvorbereitungen schon in vollem Gange waren fielen die ersten dicken Regentropfen. Noch allerdings hielten sich die Niederschläge bei Start-und-Ziel in Grenzen. Wieder hatte Michael die Qual der Wahl: Einsatzauto mit Trockenabstimmung oder T-car für Intermediats und geringer Spritlast. Er fuhr zu einer Erkundungsrunde auf die Strecke, sah zu viel Wasser und entschied sich so spät für den Reservewagen, dass er als Letzter in die Startaufstellung rollte. Er sah um sich und stellte fest, dass fast alle Kontrahenten auf Regenreifen gesetzt hatten. Zugute kam ihm auch, dass die Rennleitung das erste Mal in der WM-Geschichte entschied das Feld hinter dem Safety-car starten zu lassen. Drei Runden dauerte das Bummeltempo an. Nach Runde vier, der ersten richtigen also, passierte das Feld die Boxen in der Reihenfolge Villeneuve vor Alesi, Michael, Fisichella, Häkkinen und Frentzen.
Das war der Moment in dem Michael zum Angriff blies: Bei La Source schnappte er sich auf der Innenbahn Alesi. Obwohl der Ferrari den engeren Bogen nahm, beschleunigte er deutlich besser aus der Haarnadelkurve als der Benetton. Der nächste Überholvorgang war noch spektakulärer. Im Bereich der Abfahrt nach Stavelot, wo man sogar beim Überrunden nur dann an seinem Vordermann vorbeikommt, wenn der brav mitspielt, griff sich Michael Villeneuve, als sei der ein verirrter F3000-Pilot. 5,8 Sekunden Vorsprung brachte der neue Spitzenreiter aus dieser denkwürdigen Runde mit, und er hatte längst noch nicht alle Register gezogen: Bis zu zehn Sekunden nahm er seinen Verfolgern in der Anfangsphase pro Runde ab!
Zum Ende der sechsten Runde verschätzte sich Villeneuve eingangs der Buss-Stopp-Schikane und fuhr in die Boxengasse. Da noch keine Slicks bereitlagen, wurden Intermediats montiert – ein Fehler, denn fünf Umläufe später musste er erneut halten, da die Piste inzwischen Slicks erlaubte. An Alesis Auto hingegen hatte sich der Skidblock am Unterboden seines Benettons gelöst und störte die Aerodynamik im Bereich des Diffusors was ihn im Verlauf des Rennens immer weiter zurück werfen sollte.
Das Rennen war schnell entschieden. In der neunten Runde lag Michael bereits 34 Sekunden vor Fisichella. Bald waren es 47 Sekunden. In der 14. Runde wechselte er auf Trockenreifen und lag nach einem zweiten Stopp im Ziel noch immer 22,735 Sekunden vor dem Italiener.

Nach der Zieldurchfahrt war Michael außer sich vor Freude: „Mein Kopf ist ganz leer – ich kann noch gar nicht fassen, was passiert ist.“ Mit seinem vierten Sieg hatte er das Saisonziel erreicht, das in Fiorano bei der Präsentation des Ferrari F310B offiziell verkündet wurde. Daran erinnert, korrigierte Michael: „Für einige andere mag das das Ziel gewesen sein. Meins war es nicht. Ich hoffe, noch ein paar Siege hinzufügen zu können.“ Elf Punkte Vorsprung hatte er nun im Titelkampf auf Villeneuve. Doch dieser Vorsprung sollte von Rennen zu Rennen mehr und mehr dahin schmelzen. Mit nur einem Punkt Vorsprung reiste Michael zum Saison-Finale… Jerez sollte für ihn zu einem Alptraum werden… der selbst heute noch nachzuwirken vermag.

Quellen: FIA Saison Review 1997. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.

9. Rennen der Saison '98

Der Große Preis von Großbritannien auf dem Silverstone Circuit in Silverstone

12. Juli 1998

Im dritten gemeinsamen Jahr mit Ferrari gab es nur ein Saison-Ziel: Weltmeister werden! Der Gegner hatte sich jedoch geändert. Nicht mehr Williams galt es zu schlagen sondern McLaren-Mercedes mit Mika Häkkinen.
Doch von Beginn der Saison an lief man bei Ferrari einem technischen Rückstand hinterher. Nur eins von sechs Rennen konnte man so gewinnen, während McLaren den Rest gewann. Aber Anfang Juni gelang es Ferrari die Saison doch noch mal spannend zu machen. Man gewann in Kanada, und auch in Frankreich war Michael mit seinem Ferrari nicht zu schlagen. Es folgte Silverstone… Die Piste
  zählte zu den wenigen „weißen Flecken“ auf der Formel 1 –Landkarte von Michael. Er hatte dort noch kein einziges Rennen gewinnen können.

Der WM-Stand zur Halbzeit der Saison: Häkkinen 50, Michael 44.

Im Training kam Michael zunächst nur auf den siebten Platz. „Das Heck des Wagens war ein wenig nervös. Doch ich weiß nicht, ob wir ein Problem haben, oder ob sich die Windverhältnisse gegenüber unseren Testfahrten vor einer Woche geändert haben.“
Im Qualifikationstraining kam er auf den zweiten Platz, allerdings mit einem Rückstand von einer halben Sekunde auf Häkkinen. Dennoch war er zufrieden: Ich hätte ihm noch näher kommen können, weil ich in meiner letzten Runde gut unterwegs war, doch dann blockierte ein Rad in Abbey und ich kam etwas weit heraus. Ich glaube aber nicht, dass ich die Pole hätte fahren können.

Am Renntag war es kalt und nass. Michael wurde fünfter im Warm-up. Im Verlauf der 240 Minuten, die laut Reglement zwischen dem Ende des Warm-up und dem Start liegen mussten, schien das schlechte Wetter sein Interesse an der Formel 1 verloren zu haben. Die Wolken hingen unverändert tief, aber es regnete nicht mehr. Die Piste war nicht mehr nass, sondern nur noch feucht, vereinzelte Pfützen glänzten im Bereich aller Streckenabschnitte. Damit fiel die Wahl der Reifen unerwartet leicht: Ideale Bedingungen für Intermediates.
Wer nun von Michael - die Pistenverhältnisse schienen ihm auf den Leib geschneidert – eine Gala erwartete, wurde schnell enttäuscht. Die beiden Ferrari-Piloten hatten auf eine weitere Wetterbesserung gesetzt und das Set-up ihrer Boliden für trockenen Asphalt gewählt. Außerdem stellte sich bald heraus: Der Goodyear-Intermediat war der vergleichbaren Bridgestone-Konstruktion unterlegen. Nur vier Runden lang konnte Michael seinen zweiten Rang gegen Coulthard verteidigen. Dann zog der Schotte an ihm vorbei. Hinter Michael folgte nun Jean Alesi der einen grandiosen Start hingelegt hatte und von Startplatz acht auf vier vorgefahren war.
Nach zehn Runden bot sich folgendes Bild: Hinter den beiden McLaren klaffte eine Lücke von fünf Sekunden auf Michael. Alesi, Frentzen, Irvine, Villeneuve und Hill folgten auf den nächsten Plätzen. Ab der 15. Runde wurden auf den Tribünen die ersten Regenschirme aufgespannt – es nieselte. Wenig später waren die ersten Boxenstopps fällig. Mit Ausnahme von Häkkinen, der den richtigen Riecher hatte und Regenreifen wählte, blieben alle übrigen Spitzenfahrer den Intermediates treu. Häkkinen mit Coulthard im Schlepptau, fünf Sekunden später Michael, dann Irvine, dem bereits 24 Sekunden auf seinen Teamkollegen fehlten. So präsentierte sich die neu bereifte Spitze, als aus dem Nieselregen ausgewachsene Tropfen wurden. Aber verlass war auf das englische Wetter keiner. Die Himmelsschleusen schlossen sich wieder. Coulthard konnte so bis auf eine Sekunde auf Häkkinen aufschließen. Es hätte der Tag von DC werden können, auf Intermediates kam ihm die abtrocknende Strecke entgegen. Doch erneut setzte Regen ein und er schlidderte beim Überrunden von Fisichella in den Kies, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte. Coulthards Pech ließ Michael auf Rang zwei aufrücken. Aber damit schien für Michael die Endstation erreicht zu sein. Falsch bereift, hatte er gegen den finnischen Spitzenreiter nicht den Hauch einer Chance – Mika baute seinen Vorsprung auf über 30 Sekunden aus. Die Entscheidung schien gefallen, doch rückblickend hatte die Show noch gar nicht richtig angefangen…

Die Serie der zweiten Stopps stellte die Teamchefs nicht vor große Rätsel. Keine Frage: Regenreifen mussten her.
Nur zehn Boliden befanden sich noch auf der tückischen Piste, als sich die Rennleitung nach 43 Umläufen entschloss, das Safety-car einzusetzen. Es regnete derart stark, dass die verantwortlichen keine Alternative sahen. Auch Häkkinen hatte sich derweil einmal von der Strecke gedreht, seinen Frontflügel dabei leicht beschädigt und etwas von seinem Vorsprung eingebüßt. Die Tage, da den Piloten das Anpassen des Tempos an die Witterungsbedingungen zugetraut wurde, gehörten längst der Vergangenheit an. Häkkinen verlor so auch den Rest seines Vorsprungs. Kurz bevor das Safety-car auf die Strecke kam überrundete Michael Alexander Wurz. Scheinbar war es ein harmloses Routine-Manöver, aber dieser Überholvorgang sollte schon bald für gewaltige Dramatik sorgen.
Als das Safety-car nach sechs Runden endlich beabsichtigte hereinzukommen, griff Häkkinen tief in die Trickkiste: Der Finne drosselte seine Geschwindigkeit zunächst gewaltig und stieg dann – ausgangs Woodcote – kräftig aufs Gas. Michael schien der Dumme zu sein, da zwischen ihm noch der Überrundete Fisichella im Benetton lag und dieser die Situation nicht ansatzweise begriff. Zwischen Silber und Himmelblau klaffte beim Restart eine ungewöhnlich große Lücke.
Aber Michael machte mit Fisichella kurzen Prozess,überholte diesen noch vor der ersten Kurve und startete dann seine Aufholjagt auf Häkkinen. Nässegrad und Pneus harmonierten endlich auch bei Michael perfekt. Auf der anderen Seite hatte nun der Finne Probleme… Bei der nächsten Passage von Becketts untersteuerte sein Bolide wohl auch aufgrund des beschädigten Frontflügels zu stark und rodelte von der Bahn. Michael ließ sich daraufhin natürlich nicht zweimal bitten, nutzte die Chance und ging in Front, während hinter ihm Häkkinen den Weg zurück auf die Piste fand.
Dann platzte die Bombe. Es sickert die Nachricht durch, Michael habe als Gelbsünder eine nicht näher definierte Zeitstrafe bekommen. Damit reagierten die Stewards viel zu spät. Artikel 57 der Regeln spielte hier eine wichtige Rolle. In der Sektion a wurde aufgeführt, dass die Stewards einen Teamverantwortlichen innerhalb von 25 Minuten nach dem Vergehen benachrichtigen müssten. Michaels Vergehen fand um 15:15 Uhr statt und um 15:43 Uhr nahm Ferrari das Urteil zur Kenntnis. In Artikel 57 a war auch festgelegt, dass die Bekanntgabe der Strafe auf den Zeitenmonitoren aller Teams verzeichnet sein musste. Auch das unterblieb. Jean Todt wurde nachher mit den Worten zitiert, dass der Funktionär, der die Benachrichtigung über die Strafe brachte, nicht in der Lage gewesen sei, zu erklären, auf welche Regel man sich beziehe. Was weitere Verwirrung verursachte. Eine Zehn-Sekunden-Stop-and-Go- Strafe würde Häkkinen den Sieg schenken. Würde man die Zehn Sekunden einfach auf das Gesamtergebnis addieren, dann würde dies kaum einen Unterschied machen. Letztlich blieb im Dunkeln um was für eine Strafe es sich gehandelt hatte. Drei Runden waren noch zu fahren… Brawn sprach in aller Deutlichkeit mit den Stewards. James Allen, Reporter beim TV Sender ITV, berichtete, dass „Ross Brawn seinen Kopf schüttelte, mit den Händen gestikulierte und den Stewards erklärte, dass sie sich im Unrecht befänden.“ Todt erklärte, dass man sich angesichts der zweifelhaften Situation dazu entschlossen habe, Michael an die Box zu holen. Am Ende der 59. Runde teilte man ihm mit, dass er sich in der nächsten Runde zum Absitzen seiner Strafe an der Box einzufinden habe. In der 60. und letzten Runde legte Michael noch einmal einen kurzen Zwischenprint ein – schließlich kam es auf jede Sekunde an. Dann bog er mit einem Vorsprung von 23,414 ab in die Boxengasse. Die Ferrari-Box befand sich am Ende der Boxengasse und hinter einer virtuellen Verlängerung der Ziellinie. Michael überquerte diese Linie bevor Häkkinen über die eigentliche Ziellinie fuhr. Er hatte das Rennen gewonnen, oder etwa nicht? Niemand wusste es genau und am wenigsten Michael, der, nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, noch einmal auf die Piste ging, um auf der sicheren Seite zu sein. Nachdem alles vorüber war, stellt Häkkinen seinen McLaren im Parc Ferme ab und blieb erst einmal in seinem Wagen sitzen. Er hatte keine Ahnung was geschehen war. Neben ihm umarmte Michael seine Mechaniker, die laut über diesen Sieg jubelten.
Auch Kurios war: Weder Wurz noch Michael konnten sich nach dem Rennen an den Mann mit dem gelben Tuch erinnern. „Ehrlich, ich habe keine Ahnung von alledem, was da passiert ist, weil es ein ziemliches Chaos war. Ich war glücklich, überhaupt auf der Strecke zu bleiben, und ich wusste, dass Michael hinter mir war. Deshalb wurde ich sogar langsamer, damit er mich überholen konnte. Ich konzentrierte mich auf mein Fahren. Ich sah in den Spiegel und bemerkte ihn. Ich lieferte ihm keinen Kampf, sonst hätte ich ja nicht das getan, was ich gemacht habe. Und so hat er mich überholt. Ich war nicht wirklich langsam, aber ich fuhr auch keine Renngeschwindigkeit. Ich hatte Probleme und wollte hinter ihm fahren, um die trockene Linie seines Wagens zu nutzen. Das war meine Idee. Ich sah keine gelbe Flagge. Ich war überrascht, dass Michael bestraft wurde. Nach dem Rennen kam Jean Todt zu mir und fragte mich, ob ich eine gelbe Flagge gesehen hätte. Ich hatte es wirklich nicht.“ Michael: „Ich erinnere mich nicht, wann ich ihn überholt habe. Weil du überholst irgendwen, aber du siehst nicht viel in dem Spray. Was auch der Grund war warum ich keine Flaggen gesehen habe. Wenn du dir vorstellst, du folgst jemandem so dicht, dann bist du froh die Strecke zu sehen. Das ist alles.“

Gegen den „Trick“ von Ferrari legte McLaren einen Protest ein, der 16 Tage später abgewiesen wurde, weil die Schuld an dem Desaster alleine bei den Funktionären lag. Die machten an jenem denkwürdigen 12. Juli alles falsch, was man falsch machen konnte.
Michaels erster Sieg in Silverstone sollte also auf ganz besondere Art und Weise im Gedächtnis bleiben.

Quellen: FIA Saison Review 1998. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.

12. Rennen der Saison '98

Der Große Preis von Ungarn auf dem Hungaroring in Budapest

16. August 1998

Die Rennen nach Silverstone verliefen alles andere als gut. Zwar konnte Michael in Österreich nach einem Fahrfehler noch Platz 3 retten (dank Schützenhilfe von Irvine) aber in Hockenheim war er mit seinem Ferrari chancenlos. Mehr als ein fünfter Platz war nicht möglich. Mit 16 WM-Punkten lag er nun wieder hinter Häkkinen und es waren nur noch fünf Rennen zu fahren. Es musste unbedingt etwas geschehen wenn Michael die WM noch zu seinen Gunsten drehen wollte.

Donnerstags kam es während der offiziellen Pressekonferenz zu einer Begegnung zwischen Michael und Häkkinen. Artig reichten sich die beiden sogar lächelnd die Hände. „Die WM ist noch offen“, verkündete Michael selbstbewusst, „hier fällt weder die Entscheidung noch eine Vorentscheidung!“ Auch Mika blieb trotz Außentemperaturen von deutlich 30 Grad cool: „Dank der beiden Siege innerhalb von nur acht Tagen ist unser Team unglaublich beflügelt.“ Kaum jemand, er selbst sicher auch nicht, konnte sich vorstellen, dass die silberne „Supertruppe“ noch ernsthaft in Gefahr geraten könnte.

Freitags stellten die Gastgeber die Bandbreite des Sommerwetters der Region unter Beweis: Es regnete. Auf der schmierigen glatten Piste tanzten die Boliden Walzer, auch Champion Jacques Villeneuve leistete sich einen Ausrutscher, seine Erklärung: „Ich hatte vergessen wo die Kurve ist…“
Jean Alesi hatte dagegen die Ruhe weg und fand sogar noch Zeit für ein dickes Lob für Michael: „Keine Frage, der ist jetzt noch stärker als Ayrton Senna.“
Hinter den beiden McLaren Piloten beendete Michael das Freitags-Training als Dritter. „Wir sind in einer besseren Verfassung als in Hockenheim. Der Rückstand auf die Führenden ist nicht zu groß.“
Das Qualifikationstraining beendete er wiederum als Dritter hinter den beiden McLaren. „Okay, heute waren die schneller, aber das Rennen ist doch eine völlig andere Story. Mit der richtigen Strategie haben wir im Rennen eine Chance, und ich glaube, dass wir das Beste daraus machen werden.“ Gespielte Zuversicht – das berühmte Pfeifen im dunklen Walde – war das nicht. „Ich nahm die härteren Goodyears“, erklärte Michael, „weil hier kein großer Unterschied zu den weichen besteht. Natürlich war das im Qualifying ein Nachteil, morgen aber wird es ein Vorteil sein.“ McLaren wählte hingegen die weichen Pneus, um die erste Startreihe erobern zu können. Coulthard: „Auch bei Bridgestone sind hier die Unterschiede zwischen weich und hart gering. Aber ich glaube, auf den Harten hätte es hier nicht gereicht, schneller als Michael zu fahren.“

Pünktlich liefen die Startvorbereitungen an. Michael war unverändert zuversichtlich: „Der dritte Startplatz ist besser als der zweite, hier stehe ich auf der Ideallinie. Coulthard hat weniger Grip.“ Als aber die fünf Ampellichter verlöschten konnte er keinen Platz gutmachen: Silber behielt auf breiter Front die Oberhand vor Michael, dem Irvine folgte. Die Positionen waren damit zunächst bezogen. Ferrari und McLaren waren allerdings beide mit einer Zwei-Stopp-Strategie unterwegs. Ging man von den bisherigen Erfahrungen aus, dann würde die Reihenfolge bis zum Ende so bleiben. Überholvorgänge gab es dann auch Erwartung gemäß erst einmal keine. Es galt die Parole: Abwarten, Lauern, die Nerven behalten. In Runde 13 war allerdings das Ende für Irvine gekommen, sein Getriebe wollte nicht mehr. Michaels F300 hingegen lief wie ein Uhrwerk. Sein Rückstand auf Häkkinen betrug in der 14. Runde 3,649 Sekunden, dem Coulthard mit 2,426 Sekunden folgte.
24 Runden waren abgespult, da bot sich an der Spitze noch immer in etwa das gleiche Bild: Häkkinen 3,2 Sekunden vor seinem Teamkollegen. Michael Abstand betrug zum Finnen 4,4 Sekunden. Eine Runde später kam Michael an die Box, kurz darauf auch die Silberpfeile – die Reihenfolge blieb unverändert. Aber nun kam Bewegung ins Spiel. Das Rennen entwickelte sich zu einem Krimi. Michael hing nun hinter Villeneuve der noch nicht an die Box gefahren war, auf Platz vier fest. Die McLaren schienen das Rennen unter sich zu entscheiden.
Nun schlug die Stunde von Ross Brawn. Er stellte Michaels Strategie von zwei auf drei Stopps um. Als man dies Michael per Funk mitteilte, meinte er nur, „ich bin nicht sicher, ob das funktioniert“. Brawn gestand ein, dass die neue Strategie aggressiv war, doch „wir hatten nichts zu verlieren.“ Villeneuve ging in der 31. Runde an die Box, sodass Michael endlich Jagd auf die McLaren machen konnte. Auf Anhieb fuhr er die schnellste Runde. Coulthard lag bald 2,2 Sekunden vor ihm, Häkkinen 6,1.
Zur Halbzeit des Rennens hatte Michael Coulthard direkt hinter Häkkinen getrieben, sodass die Drei nur noch ganze drei Sekunden auseinander lagen. In Runde 43 kam Michael dann zum zweiten Mal an die Box, wo er 6,8 Sekunden stand. Coulthard stand eine Runde später bei seinen Mechanikern und verlor während dieses Aufenthaltes seinen zweiten Platz an Michael. Vor seinem Stopp war Michael Zeiten um 1:21 Minuten gefahren. Nun erreichte er in Runde 45 die erste Zeit um 1:20. In der 46. Runde fuhr er 1:19,594 Minuten. Könnte Häkkinen, der einen Vorsprung von 23 Sekunden hatte, den ersten Platz halten? Er konnte es nicht. Als Michael die Zielgerade herunter flog, hatte der Finne nicht einmal die Hälfte der Boxengasse hinter sich gebracht. Die Führung wechselte. Michaels Boxenstopp war einfach die nötige Zeit kürzer gewesen, doch er musste ja noch einmal an die Box.
Im Ferrari-Funk rauschte es, und Michael vernahm jene Worte, die schon bald darauf historisch werden sollten. „Du hast 19 Runden, um einen Vorsprung von 25 Sekunden aufzubauen.“ Michaels Antwort: „Vielen Dank.“ Er beschleunigte so hart wie möglich und war kurz davor, eine der nachhaltigsten Tempoperioden zu realisieren, die man bisher im Grand Prix Sport erlebt hatte. Der Kampf um den Sieg hatte begonnen.
Pro Runde nahm Michael Häkkinen nun zwischen einer und zwei Sekunden ab. In Runde 52 kam er allerdings vor der Zielgeraden von der Piste ab, schaffte es jedoch mit verschmierten Reifen wieder auf die Strecke zurück. „Ich war gestresst, vielleicht lenkte auch der Sprechfunk ab.“ Denn Michael hatte in der Hitze des Gefechtes die Übersicht verloren und war beunruhigt, da er glaubte, hinter Häkkinen zu liegen. „Was ist los?“, fragte er seine Box kurz vor dem Ausritt, „er fährt mir weg, obwohl ich Boden gutmachen muss!“ Ross Brawn funkte zurück: „Keine Panik, das erklär ich dir, wenn du auf der Geraden bist.“ Unterm Strich bezahlte er den Ausflug neben die Piste mit fünf Sekunden. Parallel verrieten die Uhren seit Runde 48, dass Häkkinens Bolide kränkelte. Der Finne fuhr nur noch 22er-Zeiten. Außerdem griff Coulthard seinen Teamkollegen nicht an. Viel zu spät, erst in Runde 52, erlaubte Dennis dem Schotten, auf Platz zwei vorzustoßen.
Als Michael am Ende der 52. Runde über die Ziellinie fuhr, hatte er einen Vorsprung von 10,897 Sekunden auf Coulthard. Michael zwang nun den Ferrari durch die Kurven. Immer wieder stiegen kleine Qualmwolken auf, wenn die Bremsen wieder einmal besonders strapaziert wurden. Über den ganzen Kurs zeigte er seine ganze Brillianz. Ab Runde 58 nahm Michael das Messer zwischen die Zähne. In der 60. Runde fuhr er die schnellste Rennrunde. Nun konnte man das Ergebnis dieses Spurts sehen. Der Wagen tanzte über die Strecke und wer genau hinsah, konnte erkennen, wie sehr Michael im Cockpit kämpfte. Brawn war begeistert. Bis zu seinem letzten Stopp nach 62 Umläufen drehte er kontinuierlich tiefe 19er-Zeiten. Michael stand 7,7 Sekunden an der Box, und als er wieder auf die Strecke zurückkehrte, war Coulthard am Horizont erkennbar – ganz weit hinten am Horizont. Fünf Sekunden trennten die beiden nun. In den verbleibenden 15 Runden fuhr Michael fehlerfrei und hatte am Ende einen Vorsprung von zehn Sekunden auf den Schotten, der sich mit einem defekten Hinterreifen herumschlug. Häkkinen kam am Ende sogar nur noch auf Platz sechs ins Ziel.

Überglücklich sprach Michael anschließend von einem seiner schönsten Formel 1 Erfolge: „Heute ging für mich ein Traum in Erfüllung. Jetzt ist der Titelkampf wieder offen, und das nächste Rennen ist in Spa, auf meinem Lieblingskurs.“ Bei McLaren hingegen ließ Ron Dennis den Kopf hängen. „Also für dieses Ergebnis haben wir nicht seit Freitag geschuftet. Aber wenn man die kleinste Schwäche zeigt, dann schlägt Schumacher gnadenlos zu.“

Noch ein Rennen hätte es 1998 in diese Liste schaffen können. Spa… Nachdem das Rennen wegen einem Massencrash beim Start noch einmal gestartet werden musste war Michael im Regen nicht zu halten. Über fünf Sekunden pro Runde war er schneller als der zweit platzierte Hill. Der Sieg schien ihm sicher – bis er in Runde 24 auf Coulthard auflief, der zur Überrundung anstand. Michael war unterwegs in Richtung Desaster. Trotz geschwenkter blauer Flaggen ließ der McLaren Pilot den Ferrari nicht passieren. Jean Todt intervenierte mündlich am McLaren-Kommandostand an der Boxenmauer. Michael gab unmissverständliche Handzeichen, übte sich aber in Geduld und attackierte nicht. Auf der Anfahrt zur Pouhon-Kurve nahm Coulthard – man war in Runde 26 – auf der Ideallinie fahrend Gas weg und drosselte damit sein Tempo ruckartig auf 170 km/h, Michael bewegte seinen Ferrari mit gut 220 km/h. Als die silberne Straßensperre vor ihm auftauchte, riss er seinen Wagen nach links. Zu spät, das rechte Vorderrad brach bei der unvermeidbaren Kollision ab. Das Rennen war für Michael beendet. Noch nie vorher und auch nicht mehr danach hat man Michael je wütender erlebt. Es hätte die WM Führung werden können, doch so fiel wahrscheinlich an dieser Stelle die WM Entscheidung gegen ihn aus, auch wenn diese bis zum letzten Rennen offen bleiben sollte, dank eines Sieges von Michael in Monza.
Erst fünf Jahre später konnte Coulthard auch öffentlich eingestehen, dass er damals in Spa einen Fehler gemacht hatte, in dem er auf der Ideallinie vom Gas gegangen war… Vergessen hat Michael die Geschichte nie, auch wenn er heute mittlerweile Scherze drüber machen kann.

Quellen: FIA Saison Review 1998. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000.

15. Rennen der Saison '99

Der Große Preis von Malaysia auf dem Sepang International Circuit in Kuala Lumpur

17. Oktober 1999

Es hätte sein Jahr werden können. Doch der Unfall in Silverstone begrub alle Titelambitionen von Michael in einem Reifenstapel…

Viel wurde spekuliert über sein Comeback: Wann würde er wieder in den Titelkampf eingreifen können, würde er Irvine unterstützen müssen? Es hing sogar die Frage im Raum ob er überhaupt zurück kommen wolle. Einige Medien fragten sogar wozu man einen so hochbezahlten/überbezahlten Piloten überhaupt noch brauchte, da Irvine nun drauf und dran war den Titel zu holen. Ohne Michael fehlte Ferrari allerdings das Zugpferd und das merkte man immer mehr gegen Ende der Saison und so schlug die Stimmung wieder um und man sehnte sich ein Comeback von ihm herbei. Doch als dieses sich immer weiter verzögerte, wurden auch wieder viele böse Stimmen laut die Michael Egoismus vorwarfen. Er wolle Irvine ja schließlich gar nicht zum Titel verhelfen.
Michael ließ sich von alledem nicht ablenken, hörte auf seine Ärzte und als die wieder grünes Licht gaben und auch er selber sich bereit genug dafür fühlte, erklärte Ferrari am Freitag den 8. Oktober „dass Michael Schumacher sowohl am Grand Prix von Malaysia als auch am Grand Prix von Japan teilnehmen wird. Nach drei Tagen intensiver Testfahrten in Mugello und Fiorano stellte Michael eine bedeutende Verbesserung in seinem physischen Zustand fest und hat sich daher entschlossen, an diesen beiden wichtigen Rennen am Ende der Saison teilzunehmen, um Ferrari optimal im Kampf um die Weltmeisterschaft zu unterstützen und damit auch die Wünsche des Teams und der Fans zu erfüllen.“ Anfang der Woche hatte sich Michael allerdings bei besagten Testfahrten nach 15 Runden von der Strecke gedreht, dabei eine Barriere touchiert und den Wagen leicht beschädigt. Er verließ die Unfallstelle ohne Unterstützung und übernahm einen anderen Wagen – doch er gab zu, dass er Angst gehabt hatte. „Meine Erinnerung wanderte zurück zu ganz bestimmten schlechten Dingen. Es ist nicht schön, in diesem Moment erschrocken zu werden.“ Vor den abschließenden Testfahrten hatte Corinna eine „starke Zurückhaltung“ über sein Comeback zu Protokoll gegeben. Doch, so Michael, „als sie mich nach meiner Rückkehr von den Tests in Mugello sah, reagierte sie intelligent. Zum ersten Mal seit langem sah sie ein Lächeln auf meinem Gesicht.“

Bevor es für Michael auch ein offizielles „Go“ geben konnte musste er zunächst in Malaysia beweisen, dass er ausreichend fit war, um einen Formel 1 Boliden zu steuern und innerhalb von Sekunden das Cockpit verlassen konnte. Er schaffte es. Professor Watkins erklärte, dass „er sich bester Gesundheit erfreue. Er machte einen kleinen Hüpfer für uns“. Nach einer Fußverletzung verlangte der Professor von seinen Probanden immer auch, dass sie ein wenig auf und ab sprangen.
Am Mittwoch stellte er sich dann der großen Meute internationaler Journalisten. Er wirkte noch etwas müde und angespannt und sagte, dass seine Fitness noch nicht so gut wie früher sei aber: „Ich fühle, dass ich das Rennen gewinnen kann.
Ich fühle mich sehr gut im inneren. In Bezug auf die Leistung des Autos und mir, glaube ich, dass wir eine gute Möglichkeit haben, hier zu gewinnen und um den Konstrukteurs-und Fahrer-Titel für Eddie in den letzten paar Rennen zu kämpfen.“ Über Irvine meinte er: „In erster Linie fahre ich für das Team und nicht für Eddies Interessen. Die einzige Art und Weise, wie ich ihm helfen kann, ist an die Spitze zu gehen und ihn dann überholen zu lassen. Wenn das nicht funktionieren sollte, muss er selbst zurechtkommen.“

Sein Comeback nach 98-tägiger Verletzungspause gestaltete der zweimalige Weltmeister zu einem Triumphzug sondergleichen. Mehr noch: Er watschte seine versammelte Konkurrenz mit einer Überlegenheit ab, dass es selbst McLaren-Teamchef Ron Dennis „die Tränen in die Augen trieb“.
Am Freitag lag Michael allerdings noch an fünfter Position. Alle waren damit beschäftigt die neue Strecke kennen zu lernen. „Ich bin glücklich, dass ich absolut keine Schmerzen habe und mich daher vollkommen auf mein Fahren konzentrieren konnte.“
Am Samstag sicherte er sich hingegen die Pole Position in beeindruckender Manier. Im letzten Anlauf, 15 Minuten vor Ende des Qualifyings, verbesserte sich Michael um mehr als 1,1 Sekunden und verwies seinen Teamkollegen um eine Sekunde auf den zweiten Rang. Der Abstand zu den McLaren-Piloten David Coulthard und Mika Häkkinen betrug sogar noch mehr. Auf seine letzte schnelle Runde verzichtete er. „Das war nicht nur für mich, sondern auch für das Team ein toller Erfolg“, lachte Michael mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Die haben in den letzten Wochen unter so großem Druck der Medien gestanden. Jetzt konnten wir die wahre Leistungsfähigkeit des Ferrari unter Beweis stellen. Ich habe es ja immer gesagt, aber die Leute wollten mir nicht glauben. So einen großen Vorsprung auf die McLaren hatten wir noch nie.“

Auch im Rennen führte Michael seine Mitstreiter vor wie Schulbuben: Wie von der Tarantel gestochen übernahm er von der Pole-Position aus die Führung und knöpfte dem übrigen Starterfeld gut eine Sekunde pro Runde ab. Und wer gehofft hatte, das Ferrari-Ass sei auf einer Zweistoppstrategie und daher mit leichtem Auto unterwegs, der sah sich im weiteren Verlauf des Großen Preises von Malaysia eines Besseren belehrt…
In Runde drei unterbrach Michael die beeindruckende Demonstration seiner fahrerischen Überlegenheit vorläufig und wendete sich seiner eigentlichen Aufgabe zu: Er gewährte seinem Teamkollegen Eddie Irvine die geforderte Unterstützung im WM-Titelkampf, ließ sich zurückfallen und den Nordiren passieren. Während der sich absetzen konnte, unterlief Michael der einzige Fehler des Wochenendes: Wie ein Habicht stieß Coulthard – der mit einem leichteren McLaren unterwegs war – in Turn zwei neben den Ferrari. „Das gehörte nicht zu meinem Plan“, staunte Michael später. „Ich hatte einen Angriff von David an dieser Stelle nicht erwartet. Er konnte mich überraschen – vielleicht lag das an meiner langen Abwesenheit.“ Ganz ohne Späne ging die mutige Hobelei jedoch nicht aus: Beide Autos berührten sich. „Mein Frontflügel wurde beschädigt, deswegen untersteuerte mein Wagen später stärker“, so Michael weiter.
Während fortan Mika Häkkinen im Heck des drittplatzierten Ferrari zu verzweifeln begann, eröffnete vorne Coulthard die Jagd auf Irvine. Weit kam der Schotte jedoch nicht mehr. In Runde 15 rollte sein McLaren wegen kollabierendem Benzindrucks aus. Häkkinens Verzweiflung indes stieg von Runde zu Runde: Hilflos musste er mit ansehen, wie Michael ihn gezielt blockte. „Total frustrierend. Michael fuhr in den schnellen Kurven nicht gleichmäßig schnell. Weil er mal eher, mal später bremste, musste ich stets aufpassen, dass ich ihm nicht ins Heck rutsche“, stöhnte der völlig erschöpfte Finne, der während des Rennens wütend gestikulierte, später. „Aber ich kann Ferrari nichts vorwerfen – in einer vergleichbaren Situation würden wir wohl ähnlich handeln.“ Eine Sicht der Dinge, die sein Teamchef Ron Dennis nicht teilte: „Nein das kommt für uns nicht in Frage. Wir beschweren uns zwar nicht öffentlich, aber ich halte diese Vorgehensweise nicht für sehr sportlich.“ In Indianapolis ein Jahr später, tat man dann aber auch nichts anderes bei McLaren…
Die Ferrari-Taktik sorgte auf jeden Fall dafür, dass Eddie Irvine auch nach den ersten Boxenstopps in Führung blieb. Obwohl sich Michael später über abbauende Reifen und starkes Untersteuern beklagte, stellte er vor seinem eigenen, einzigen Tankhalt in Runde 28 mit den beiden schnellsten Rennrunden des gesamten Wochenendes sicher, dass er vor seinem skandinavischen Konkurrenten auf die Strecke zurückkehren würde – obwohl er angesichts der höheren Spritmenge länger in der Box stehen musste.
In Runde 41 läutete dann Irvine die zweite Runde der Boxenstopps unter den Führenden ein. Er kehrte auf Position drei wieder auf die Rennstrecke zurück. Michael ging so erneut in Führung. Häkkinen wiederfuhr derweil noch größeres Ungemach: Als er neun Runden vor Schluss seinen abschließenden Tankvorgang beendet hatte, musste er sich hinter dem wie beflügelt fahrenden Herbert einreihen. Und der kleine Brite verteidigte seine dritte Position wie ein Löwe. Erst in der drittletzten Runde unterlief ihm in Turn Neun ein kleiner Fehler. „Johnny fuhr die Kurve etwas zu weit“, rekapitulierte Häkkinen. „Dadurch verlor er seinen Schwung, ich war vorbei.“ Eine Runde zuvor hatte Michael Irvine zum zweiten Mal passieren lassen. Der Doppelsieg war nicht mehr zu verhindern gewesen.
Michael hatte das ganze Rennen über die Wagen vor und hinter sich kontrolliert und so den ganzen Grand Prix in den ersten Reihen gestaltet. Martin Brundle, der das Rennen fürs britische Fernsehen kommentierte, meinte: „Schumacher verbrachte den Nachmittag damit, so langsam wie möglich zu fahren und gab trotzdem die Führung zweimal ab.“ Auch Irvine fand nachher in der Pressekonferenz nur lobende Worte: „Ich weiß nicht was wir mit ihm machen sollen. Er ist einfach deprimierend. Er ist nicht nur die beste Nummer eins, sondern auch die beste Nummer zwei.“

Auch wenn Eddie Irvine mit seinem vierten Grand Prix-Gewinn seiner Karriere seine WM-Chancen gegenüber dem Titelverteidiger deutlich erhöhen konnte: Als moralischer Sieger des Wochenendes stand Michael fest. Das Siegerfoto mag dazu als letzter Beweis dienen: Während Irvine völlig durchgeschwitzt und mit hochrotem Kopf auf dem Podest stand, ein völlig erschöpfter Häkkinen sogar dem Zusammenbruch nahe war, wirkte Michael trotz der tropischen Bedingungen fit und frisch wie vor dem Rennen.
Corinna sagte nach dem Rennen in Malaysia: „Ich weiß jetzt, dass ich ihn wieder an die Formel 1 verloren habe.“

Das Theater um die regelwidrigen Windabweiser des Ferrari, die Disqualifikation und deren Rücknahme eine Woche später, ließ Michael kalt. Er verhielt sich als wolle er sagen: „Ich habe meinen Teil getan.“ In Japan verhalf er seinem Team zur Konstrukteurs-Weltmeisterschaft. Irvine zum Sieger der Fahrer-Wertung zu machen, gelang nicht.

Quellen: FIA Saison Review 1999. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '99, Neckarsulm 1999. Karin Sturm "Michael Schumacher - Ein Leben für die Formel 1", 6. aktualisierte und erweiterte Neuauflage 2010.

6. Rennen der Saison '00

Der Große Preis von Europa auf dem Nürburgring

21. Mai 2000

Zum ersten Mal seit 1997 kam Michael wieder als WM-Führender nach Deutschland. Drei Siege konnte er am Anfang der Saison einfahren und endlich hatte er einen Ferrari, der dem Boliden der Konkurrenz von Beginn an ebenbürtig war.

Das Hauptthema vor dem Rennen auf dem Nürburgring war in den deutschen Medien immer noch der „Große Bruderzoff“. Hintergrund war ein Manöver Michaels beim Spanien Grand Prix gewesen bei dem er trotz Schwierigkeiten mit seinen Reifen seine Position gegenüber Ralf so hart verteidigt hatte, dass am Ende sogar noch Michaels Teamkolleg Rubens Barrichello an beiden vorbeigehen konnte. Nach dem Rennen war Ralf stock sauer, aber die Versöhnung erfolgte noch vor Ort bei einer dicken Friedenszigarre und einem Versöhnungsbier auf neutralem Grund im Zelt von Promiwirt Karl-Heinz Zimmermann.
Am Mittwoch vor dem Rennen beruhigte man auch noch mal nachtrüglich die Medien: „Da gibt’s überhaupt kein Problem, wir kämpfen gerne gegeneinander. In Barcelona, das war doch ein faires Duell, ein gutes und enges Überholmanöver. Keine Panik! Wir bleiben beide in der Formel 1, und es wird noch weitere Duelle zwischen uns geben“, beschwichtigte Ralf die Gemüter. Und auch Michael erklärte: „Keiner kann dem anderen auf der Rennstrecke Geschenke machen.“ Man durfte sich also auch in Zukunft auf harte und interessante Duelle freuen.
Ein weiteres Thema war das Wetter in der Eifel. Das neue Mai-Datum für den WM-Lauf auf der GP-Piste des Nürburgrings rief schon im Vorfeld die Wetter Pessimisten auf den Plan: Von Frost, Schnee und eiskalten Winden war die Rede. Die gemäßigte Fraktion sprach zumindest von niedrigen Temperaturen und Regen.
Die Eifel blieb ihrem Ruf als unberechenbares Wetterloch treu. Schwitzte Deutschland in den Tagen und Wochen vor dem Grand Prix von Europa noch überraschender Weise wegen dem sonnenreichsten Mai seit 1932 bei einer Hitzeperiode, so übernahm pünktlich zum Formel 1 Rennen das gewohnte Regen-Sonne-Spiel wieder die Regie über das heimtückische Mittelgebirge.
Ging das freitägliche freie Training – das Michael mit mehr als zwei Zehntelsekunden Vorsprung dominierte – noch unter bedecktem Himmel, aber auf trockener Straße über die Bühne, so entwickelte sich einen Tag später das Qualifying bei nachlassendem und wiedereinsetzendem Regen zum Pokerspiel. Um mehr als 2,5 Sekunden verbesserte sich die schnellste Rundenzeit zwischen der sechsten und 13. Minute des Abschlusstrainings. Auf der Piste herrschte ein ungewöhnliches Gedränge. Niemand wollte den optimalen Zeitpunkt für seinen Versuch verpassen. Letztlich war es der wiedererstarkte Coulthard, der die besseren Karten in der Hand hatte: Pünktlich um 13:26 Uhr legte er eine Rundenzeit von 1:17,529 Minuten vor – dann setzte der Regen ein. Michael musste sich mit Platz zwei begnügen und war enttäuscht: „Natürlich hätte ich es schaffen können, aber zweimal unterliefen mir in der Dunlopkehre kleine Fehler. Ein Drama ist der Ausgang des Qualifyings für mich allerdings nicht. Ich habe in diesem Jahr schon drei Rennen gewonnen, ohne von der Pole zu starten.“ Ein Trost für Michael war sicher auch, dass sein schärfster WM-Rivale trotzdem noch hinter ihm starten würde. Häkkinen wurde nur dritter.
Im Warm-up am Sonntagmorgen bewies Michael, dass ihn die Qualifying Niederlage nicht aus dem Konzept gebracht hatte: Vor Häkkinen, Frentzen, Barrichello und Verstappen setzte er sich während der halbstündigen Generalprobe durch. Mit Spannung wurde anschließend
  erwartet, ob DC die Pole beim Start nutzen könne, oder ob der Schotte vom zweitplatzierten Michael ausbeschleunigt würde.

Als die roten Ampeln verlöschten, kam alles ganz anders. Häkkinen, den niemand so recht auf der Liste hatte, gelang ein Meisterstück. Mit einem wahren Blitzstart glich er die Schmach des Vortages wieder aus und ließ sowohl Coulthard als auch Michael alt aussehen. Bei seinem mutigen Manöver berührten sich jedoch die beiden Autos von Michael und Mika. „Er erwischte offensichtlich einen Guten Start“, schilderte Michael später die Situation aus seiner Sicht. „Doch dann zog er so scharf auf die rechte Seite herüber, dass er mich überraschte. Sein rechtes Hinterrad touchierte völlig unnötig mein Vorderrad. Ich denke, Mika weiß das auch.“ Häkkinen der zuhörte, schaute gelangweilt gen Himmel, reagierte jedoch defensiv: „Es war wirklich ungemütlich. Ich konnte nicht abschätzen, wie nah Michael war. Aber ich musste auf der Innenseite durchbrechen – es gab keine andere Wahl. Schade, dass es passierte, und hoffentlich wird Ähnliches nicht mehr vorkommen.“
Mika und Michael setzten sich unverzüglich an die Spitze. Schon nach fünf Runden betrug der Abstand zu den dahinter liegenden Coulthard, Barrichello und Jaques Villeneuve – der mit einem Riesensatz vier Plätze gutmachte – bereits 2,6 Sekunden. Dann setzte leichter Regen ein. Das Rennen versprach Spannung…
So lange der Asphalt nur feucht blieb, vermochte Häkkinen seinen halbsekündigen Vorsprung auf den drängelnden Ferrari-Piloten zu verteidigen. Doch als es wirklich nass wurde, schlug Michaels Stunde: Er saugte sich in der elften Runde im Windschatten ganz dicht an Mikas McLaren heran, beide Autos schienen fast zu einem einzigen zu verschmelzen. Jeder am TV Bildschirm wusste, gleich würde Michael ein Überholmanöver starten. Leichtfüßig bremste er den Silberpfeil vor dem Veedol-Z aus und ging vorbei. Mika unternahm keinen Versuch der Gegenwehr. Es wäre wohl auch Sinnlos gewesen.
Wie entfesselt stürmte Michael davon: Zu feucht für Trockenreifen und zu trocken für Regenpneus – das waren exakt jene Bedingungen, in denen der Lenkradvirtuose seine einzigartige Fahrzeugkontrolle voll ausspielen konnte. Er hängte Häkkinen nicht ab, er desklassierte ihn geradezu: Rund fünf Sekunden legte er in nur zwei Umläufen zwischen sich und seinen Erzrivalen.
Schon bald führte jedoch kein Weg mehr an Regenreifen vorbei – das nächste Fiasko für die Silberpfeile die dadurch ihre Strategie durch den Kamin jagen konnten, denn Mikas erster Stopp war erst einige Runden später eingeplant gewesen. Während Michael die Führung nach dem vorgezogenen Reifenwechsel behaupten konnte, fiel Häkkinen hinter seinen Teamkollegen zurück - der eine Runde eher zu einem äußerst fixen Boxenstopp hereingekommen war – zurück.
Auch Ralf hatte sich auf feuchte Verhältnisse gefreut, doch als es zu nieseln begann, geriet der Williams-Pilot buchstäblich vom Regen in die Traufe. „Meine Bremsen machten Probleme“, erläuterte er. „Auf den Geraden musste ich pumpen, um Bremsdruck aufzubauen – dabei kam ich mehrmals von der Strecke.“ Nach seinem Boxenstopp fand sich Ralf auf Rang zehn wieder, überholte Johnny Herberts Jaguar, dann war Schluss mit der Vorstellung: Unverschuldet wurde Ralf in die Kollision zwischen Jos Verstappen und Eddie Irvine verwickelt. Alle drei schieden aus…
Während sich die Bedingungen weiter zuspitzten, stürmte Michael mit seinem Ferrari an der Spitze auf und davon. Zeitweilig nahm er seinen Konkurrenten pro Runde fast 2,4 Sekunden ab. Häkkinen kämpfte sich derweil an Coulthard vorbei zurück auf Rang zwei. Die Positionen schienen gefestigt. Vorerst. Denn als Michael in Runde 35 zum zweiten Mal in Richtung Boxenstraße driftete, blies der Finne zur Attacke: Jetzt war sein Rivale mit einem schwereren Auto unterwegs und er mit einem relativ leichten. Jetzt endlich konnte er die schnelleren Runden drehen. Es dauerte fünf Umläufe, bis Michael erstmals konterte. Häkkinens Vorsprung betrug zu diesem Zeitpunkt 25 Sekunden, er musste noch einmal tanken – und es standen Überrundungen an. Doch McLaren holte ihn erst vier Runden später herein. Bis dahin hatte Mika weitere drei Sekunden eingebüßt. Der Rest wurde für Michael zum Spaziergang – auch wenn Häkkinen seinen Rückstand noch von 15 auf fünf Sekunden reduzieren konnte und der führende Ferrari mit abgefahrenen Reifen immer stärker unter Aquaplaning litt. Doch als Häkkinen kurz vor dem Ziel auch noch auf die Kampfgruppe Herbert, Button, Wurz und Zonta auflief und weitere Sekunden einbüßte, war der Kuchen gegessen.
David Coulthard konnte am Ende froh über seinen dritten Platz sein, den er knapp gegen Rubens Barrichello und Giancarlo Fisichella verteidigte.

Michaels Erfolg war sein erster am Steuer eines Ferraris auf heimischem Terrain. Überschwänglich jubelte er im Parc Ferme mit seinen Mechanikern und küsste sogar vor Freude eine TV-Kamera. „Das ist sicher einer der schöneren Tage in meinem Leben – gar keine Frage. Ich wusste zwar, dass wir eine Chance haben, das Rennen zu gewinnen. Aber die Umstände waren natürlich speziell: Wir wussten nicht, wie stark unser Auto im Regen ist. Wir haben die Bestätigung bekommen, dass es sowohl im Trockenen wie im Regen schnell ist. Dass ich erstmals hier mit Ferrari gewonnen und alle Fans zufrieden gestellt habe, ist schon toll.“ Er war entspannt, lächelte über das ganze Gesicht und sah so frisch aus, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass er gerade eine Stunde und 42 Minuten über den Nürburgring gefahren war. Ein Reporter sah ihn an und meinte, er sei wohl sehr populär. Ohne eine Spur von Ironie erwiderte Michael: „Es sieht wohl so aus.“ Dann lächelte er und fügte dann doch mit einiger Ironie hinzu: „Ich bin ganz ehrlich nicht überrascht. Hier sehr beliebt zu sein.“ Es war sein vierter Sieg im sechsten Rennen und er führte die WM-Wertung nun mit 18 Punkten vor Häkkinen an. „Ich habe davon geträumt. Und manchmal werden Träume war. Wir sind in einer guten Situation. Wir haben ein gutes Auto, ein gutes Team. Jetzt haben wir einen großen Vorsprung. In den Jahren zuvor war das Gegenteil der Fall. Ich hoffe, dass wir den Vorsprung bis zum Saisonende halten können.“
Michael stattete nach der offiziellen PK dem RTL Studio einen Besuch ab. Noch in seinem durch den Regen und Champagner durchnässten Rennanzug sah’s er dort und erzählte mit einem strahlen in den Augen von dem kleinen Glücksbringer den seine Tochter ihm mitgegeben hatte: Eine kleine rosa Haarbürste.

Im Nachhinein machte noch eine Kleinigkeit das Rennen zu etwas besonderem. Das Nürburgring Rennen war das letzte Mal wo man Michael mit seinem weiß-blauen Helmdesign gesehen hatte. Ab dem nächsten Rennen in Monaco, verschmolz Michael auch farblich mit seinem roten Ferrari.

Quellen: FIA Saison Review  2000. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '00, Neckarsulm 2000. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.

16. Rennen der Saison '00

Der Große Preis von Japan auf dem Suzuka International Racing Course nahe Suzuka

8. Oktober 2000

Eine Saison voller Aufs und Abs lag bisher hinter Michael. Hatte er noch die ersten fünf von acht Rennen gewinnen können, so fiel er im Sommer in ein großes Loch. Nichts wollte mehr gelingen. In Frankreich hatte man Probleme mit den Reifen und in Österreich und Hockenheim entwickelte sich jeweils der Start schon zu einem wahren Alptraum. In beiden Fällen war schon nach wenigen hundert Metern Schluss. Bei den Großen Preisen von Ungarn und Belgien war man Chancenlos, obwohl man geglaubt hatte dort gewinnen zu können. Schlimmer noch, in Spa verlor Michael erstmals in der Saison die WM-Führung.

Der Druck beim Ferrari Heimspiel in Monza war unermesslich groß. Hätte man dort nicht die Wende geschafft, wär die Weltmeisterschaft wohl wieder in weite Ferne gerückt. Doch man schaffte was viele schon nicht mehr für möglich gehalten hatten. Michael konnte seinen 41. Sieg einfahren und wurde von abertausenden Tifosi überschwänglich gefeiert. Den Moment des Triumphes kostete er auf dem Siegerpodest voll aus. Alleine saß er oben auf dem Siegerpodest mit einem seligen Lächeln im Gesicht und genoss die Freude der Fans. Ein vollkommen anderes Bild bot sich dann in der Pressekonferenz. Als er auf seinen 41 Sieg angesprochen wurde, mit dem er mit Ayrton Senna gleichgezogen hatte, entluden sich all der Druck der in den Wochen zuvor auf ihm gelastet hatte, gemischt mit den Emotionen des Sieges und der Erinnerungen an Senna in einem Tränenmeer. Minuten lang war er nicht in der Lage das Interview fortzusetzen. Häkkinen und Ralf, die neben ihm saßen versuchten Trost zu spenden. „Jeder hat eine Grenze“, erklärte er später, „und ich hatte da meine Grenze deutlich überschritten.“
Dank eines weiteren Sieges in Indianapolis und dem gleichzeitigen Ausfall Häkkinens hatte Michael erstmals seit 1998 wieder einen „Matchball“ im Kampf um den WM-Titel. Zwei Punkte musste er nur noch mehr als Mika holen. Zwei zweite Plätze in Suzuka und beim Finale in Sepang hätten schon ausgereicht, selbst bei gleichzeitigen Siegen Häkkinens. Michaels Strategie war jedoch klar: „Wenn es möglich ist, mache ich den Sack hier zu.“ Er wollte also voll auf Angriff gehen.
Für Mika gab es hingegen keine andere Wahl, er musste vor Michael ins Ziel kommen und kündigte im Gespräch mit Michael an: „Ich werde jede Kurve drei Meter später anbremsen als normalerweise.“ Ein Konter ließ nicht auf sich warten: „Dann verlege ich den Bremspunkt um fünf Meter.“ Auch Mika war nicht auf den Mund gefallen: „Dann landest du im Kies.“ Michael wollte das letzte Wort behalten: „Okay, dann treffen wir uns dort.“ Der freundschaftliche verbale Schlagabtausch machte die Psychostrategie der beiden Titelanwärter deutlich: Locker bleiben – keine Nervosität verraten.

Das erste freie Training konnte Michael für sich entscheiden, das zweite ging an Häkkinen. Ein Qualifying Krimi zeichnete sich ab.
Doch da tat sich erst einmal gar nichts bei den beiden Top-Teams. Coulthard war der erste der sich nach etwas mehr als 20 Minuten auf die Strecke wagte. 25 Minuten nach Beginn des Qualifyings tauchte Michael auf, schob das Helmvisier nach unten und steuerte seinen Boliden die Boxengasse herunter. Während er Schwung holte für seine schnelle Runde, ging Häkkinen auf die Piste. Das Duell konnte beginnen. Michael griff an. Nachdem er im dritten Sektor schneller als DC war, war Häkkinen wiederum schneller als er selbst im ersten Sektor. Michael war nach 1:36,094 über der Ziellinie, Häkkinen nach 1:36,168. Michael hatte einen Vorsprung von 0,074 Sekunden.
21 Minuten vor Trainingsende: Häkkinen ging auf die Strecke und war um 0,077 Sekunden schneller (1:36,017).
17 Minuten vor Trainingsende: Michael griff wieder an und kam am Ende einer makellosen Runde auf 1:35,908 und hatte einen Vorsprung von 0,109 Sekunden. Mika sah die Zeit auf seinem Monitor und schüttelte lächelnd kurz den Kopf.
11 Minuten vor Trainingsende: Häkkinen antwortet. Nun beobachtete Michael den Monitor. Häkkinen war im ersten Sektor um 0,043 Sekunden langsamer – Michael zeigte keine Reaktion – und um 0,025 Sekunden im zweiten Sektor langsamer. Am Ende lag seine Zeit bei 1:35,834. Mika hatte einen Vorsprung von 0,074 Sekunden. Michael lächelte und ging wieder auf die Strecke.
3,5 Minuten vor Trainingsende: Auf der Strecke herrschte kaum Verkehr. Im ersten Sektor war Michael um 0,039 Sekunden langsamer. Im zweiten Abschnitt jagte er über die Abweiser und war um 0,012 Sekunden schneller. Nachdem er den letzten Sektor hinter sich gebracht hatte, raste Häkkinen auf die Strecke. Michaels Zeit: 1:35,825. Ein Vorsprung von 0,009 Sekunden!
Häkkinen begann seine letzte Runde. Michael sah, stehend in seinem Auto, auf dem Monitor „die beiden ersten Abschnitte, und dann war ich beruhigt“. Mika war im ersten Teil um 0,002 Sekunden schneller und im Zweiten um 0,088 langsamer. „Ich wusste, dass es ein enges Training werden würde, und dass jeder von uns beiden die Pole erreichen konnte.“ Häkkinen erreichte nach 1:36,018 Minuten die Ziellinie.
Michael hatte mit einem Vorsprung von 0,009 Sekunden den ersten Startplatz erreicht. In der Ferrari-Box schlug man sich gegenseitig auf die Schulter und zeigte seine Freude. Michael trank aus seiner Trinkflasche, betrachtete die Zeiten auf dem Monitor, schlenderte die Boxengasse herunter und beobachtete Häkkinens McLaren, der gerade in die Garage des Parc Ferme geschoben wurde. Es war als ob er den Wagen mit seinen Augen sezieren würde.
Er ging in die Pressekonferenz, wo jemand meinte: „Sie machen einen wesentlich ruhigeren Eindruck und scheinen viel nachdenklicher als sonst zu sein. Unter wie viel Druck stehen sie?“ Michael schob dies beiseite: „Natürlich ist dies kein Rennen wie jedes andere. Wir können hier die Meisterschaft holen, aber es macht keinen Sinn, bereits die Pole Position als Sieg zu feiern. Es ist schön, aber es ist nicht das endgültige Ergebnis. Wir werden morgen hart dafür kämpfen müssen. Aber wir sind bereit.“

Im Warm-up, unter einem bleigrauen Himmel kam Michael auf 1:38,005 Minuten. Mika erreichte 1:38,526. Nun, das war ein echter Unterschied.

Nach Angaben der Meteorologen sollte es während des Rennens regnen.

In Maranello war es dunkel und es regnete. Die Ferrari-Fans kamen sich daher unter den Regenschirmen etwas näher. Gemeinsam wollte man das Rennen auf einer Großbildleinwand verfolgen. Ferrari-Flaggen wehten im Regen, während gleichzeitig Mercedes schon mal symbolisch zu Grabe getragen wurde. Ein Sarg mit dem Schriftzug „Mercedes“ wurde zunächst in eine Kirche und dann zur Ferrari-Hauptverwaltung getragen.
In Kerpen hatten sich gut 3000 meist in knallrote Anzüge gekleidete Menschen versammelt. Auch hier wehten die Ferrari-Flaggen zuversichtlich. Beide Gemeinden waren in diesem Moment aufs Engste verbunden.

In Suzuka stellten sich die Wagen zum Start auf. Michael gab noch einmal Interviews und wirkte dabei sehr angespannt. Man bekam eine kleine Vorstellung davon wie wichtig dieses Rennen für alle Beteiligten war.
Von einem Moment auf den anderen waren die Piloten in der Startaufstellung unter sich. Michael legte in der Aufwärmrunde eine beachtliche Geschwindigkeit vor. Nun standen sie wieder, warteten auf das Verlöschen der Startampeln. Eine TV-Kamera fing beide Titelaspiranten ein. Die Spannung an den Bildschirmen war kaum auszuhalten. Und dann ging es endlich los.
Michael erwischte einen schlechteren Start als Häkkinen und zog sofort nach rechts um Mika zu blocken, doch der war schon neben ihm und ging in der ersten Kurve in Führung. „Nach dem Start war mir klar, dass das in die Hose gegangen war. Jetzt war die Taktik eigentlich nur, aufs spätere Renngeschehen zu achten. Und zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen.“ Aber in welchem Tempo? „Zumindest bis zum zweiten Boxenstopp wie im Qualifying – und zwar jede Runde.“ Michael folgte Häkkinen nun wie ein Schatten und gemeinsam setzten sie sich vom Rest des Feldes ab. Nach zehn Runden trennten gerade mal 1,8 Sekunden die beiden Erstplatzierten, die Rennsport par excellence boten. Am äußersten Zipfel der Fahrphysik und mit unerhörter Präzision zirkelten sie ihre Boliden durch die schnellen Wechselkurven, keiner der beiden erlaubte sich auch nur den kleinsten Fehler.
In Runde 22 kam Mika als Erster an die Box. 6,8 Sekunden benötigten seine Mechaniker für das Tanken und Reifenwechseln. Nur eine Runde später bog auch Michael ab, der zwar etwas länger stand, dafür aber in seiner In-Runde fast eine Sekunde schneller war als Häkkinen auf seiner. Abstand und Reihenfolge blieben unverändert. David Coulthard lag bereits gut 20 Sekunden zurück.
In Runde 29 brach die spannende Phase an: Es begann leicht zu regnen. Für Michael war klar: Jetzt war die Zeit gekommen für den Angriff. Auf der feuchten Piste reduzierte er seinen Rückstand auf den Silberpfeil auf nur noch 0,7 Sekunden. Dunkle Wolken versprachen ergiebigere Regengüsse. Die nächste Boxenstopp-Runde rückte näher. Regen oder Trockenreifen, was sollte die richtige Entscheidung sein?
Dicht hintereinander flogen die beiden Rivalen auf die Schikane vor Start-Ziel zu, mit einem Ricardo Zonta vor ihnen, der zur Überrundung anstand. Während Häkkinen den BAR noch auf der Geraden passierte, versuchte Michael dies beim Anbremsen – beide Autos touchierten mit den Rädern. Während Michael davon gar nichts mitbekommen hatte, hielt man vor den Monitoren den Atem an.
Jetzt ging es um alles: Mika kam in Runde 37 an die Box. Michael drehte voll auf, „obwohl meine Reifen schon ziemlich am Ende waren.“ Drei Runden Zeit hatte er um den Vorsprung herauszufahren der ihm reichen würde um vor Mika zu bleiben. Dabei musste er allerdings noch einige Autos Überrunden. Als Michael zum letzten Mal vor seinem eigenen Tankhalt durch die Schikane tobte, konnte er nur mit Mühe dem sich vor ihm drehenden Benetton von Alexander Wurz ausweichen. 7,4 Sekunden hatte der McLaren gestanden, lediglich 6,0 der Ferrari – würde es reichen?
„Dieser Funkspruch. Den werde ich sicher in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen, den werde ich immer im Ohr haben: Ich fahre die Boxengasse nach meinem zweiten Stopp hinunter, und Ross Brawn sagt mir ins Radio: „It’s looking good, it’s looking good“, also: „es sieht gut aus“. Und ich bin innerlich völlig angespannt und warte unwillkürlich darauf, dass er sagt: „It was looking good“, „es sah gut aus“. Aber plötzlich sagt er: „It’s looking bloody good! – Es sieht verdammt gut aus!“ Ehrlich, ich dachte, mein Herz hüpft in die Höhe! Es war als hätte es einen Schlag ausgesetzt. Ein wahnsinniger Moment.“ Als der Ferrari auf die Strecke zurück schoss, hatte Mika soeben die Schikane passiert – die WM war so gut wie entschieden. Doch als Michael kurz vor Schluss langsamer wurde, witterte der Finne noch einmal Morgenluft. „Ich bin gefahren wie ein Verrückter.“ Doch der Käse war gegessen. 21 Jahre nach Jody Scheckter hieß der neue Ferrari Weltmeister Michael Schumacher. Alle Träume wurden war.
Michael konnte sein Glück kaum fassen. „Du bist großartig Ross - jeder von euch Jungs. Oh mein Gott - wir haben es geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft! Danke!“, schrie er außer sich vor Freude über den Funk und hämmerte wie besessen auf sein Lenkrad ein. "Ich kann es nicht glauben - gebt Corinna einen dicken Kuss von mir.“

„Ich war so unendlich glücklich! Ich wusste gar nicht, was ich mit dem Glück anfangen sollte, ich fühlte mich plötzlich fast eingesperrt in diesem Auto, meinem Ferrari. Das ist irgendwie so als würdest du gleich platzen. Ich habe dann so dermaßen aufs Lenkrad geschlagen, dass es daraufhin vorsichtshalber aus dem Verkehr gezogen wurde – aus Angst, etwas sei kaputt gegangen dabei. Es war einfach eine solche Erlösung! Eine solche Erleichterung! Endlich geschafft, nach so vielen Jahren voller Enttäuschungen. In der Outlap, als es schon vorbei war, bin ich nur so herumgefahren – ich war einfach voller Tränen und stand irgendwie fast neben mir. Wie soll man das sagen? Du bist fast jemand anderer.“

Der Rest versank in einem Meer von Emotionen: Seine vor Freude weinende Frau Corinna, wie alle Beteiligten sich gegenseitig umarmten. Die Freude der Fans - zu Hause in Kerpen, in Maranello, auf der ganzen Welt.
Nach der Auslaufrunde parkte er den F1-2000, seine „Rote Göttin“, im Parc Ferme, kletterte zunächst allerdings nicht aus dem Auto. Jean Todt tauchte in das Cockpit, um dort Michaels Hände zu umfassen. Eddie Irvine, bückte sich und schüttelte die noch immer im Handschuh steckenden Hände. Erst als er seine verständlichen Emotionen wieder im Griff hatte, setzte er sich aus seinem Auto hoch auf die Rückenlehne, es folgten weiter Umarmungen und Gratulationen. Auch Mika Häkkinen gehörte zu den ersten Gratulanten. Es war ein toller Moment als beide sich in den Armen lagen.
„Was noch wunderschön war: Der Moment, als ich im Parc Ferme aus dem Auto ausstieg und das ganze Team da stand. Diese Gesichter! Überall nur strahlende Augen, alle jubelten, und ich hätte am liebsten jeden einzelnen umarmt und geküsst – okay, ich habe es zumindest versucht, und gottseidank war Corinna da. Und dann oben auf dem Podest, bei der Siegerehrung: Spätestens da hätte ich wirklich die ganze Welt umarmen können. Wenn man von oben runter schaut und einem nur Lachen, Jubel, Singen entgegenschlägt – solche Momente kann man nicht angemessen in Worten beschreiben.“

Was nach den ganzen Interviews folgte war eine WM-Party die dem Anlass gerecht wurde. Auch wenn sie vollkommen improvisiert war. Erster Ort der Feierlichkeiten: Die Boxengasse. Es war gegen 22 Uhr und Michael war so richtig in Fahrt. Beim feiern zeigt sich seine rheinländische Herkunft, da muss er trinken, singen, aber auch zündeln und andere mitziehen – „man glaubt es ja kaum, aber unsere Italiener brauchen eine ganze Weile, bis sie so richtig warm werden und ausgelassen feiern“, sagte er grinsend in die Runde. Also bekam jeder, der nicht rechtzeitig flüchten konnte Champagner über den Kopf. Seine eigene Kleidung war schon lange hinüber, inzwischen trug er schon den dritten Pulli – zuviel Champagner, Cola und Bier, vermischt mit Senf, Sahne und Ketchup, das hielt die stärkste Teamkleidung nicht aus. Der Pulli gehörte Ralf, wie die Trainingshose, die Michael trug.
Später am Abend, bzw. in der Nacht, verlagerte man die Feierlichkeiten in die umliegenden Karaoke-Hütten des Vergnügungsparkes von Suzuka. Um drei Uhr morgens stieg der erste Auftritt des neuen Rock-Duos Micha und Mika. Elf Stunden nach der WM-Entscheidung sangen die beiden Titelrivalen gemeinsam aus voller Kehle in der Karaoke-Kabine Nr. 7 Arm in Arm den Rock-Klassiker „Smoke on the water“ in die Mikrofone. Der ganze Druck nach dem monatelangen knochenharten Zweikampf war wie weggeblasen. Jetzt hieß es nur noch Feiern, Feiern, Feiern. Die rot-silbernen Kontrahenten waren wenigstens bis zum Morgengrauen ein Herz und eine Seele.
Michael brauchte nach eigener Aussage 2 Tage um sich von den Nachwehen der Feierlichkeiten zu erholen.

„Ferrari könnte, ähnlich wie McLaren oder Williams in den neunziger Jahren, zu einer Macht in der Formel 1 werden“, erklärte Michael nur einen Tag nach seinem größten Triumpf. „Meine Mission ist also noch nicht erfüllt. Ich sehe nicht nur diesen einen WM-Titel, über den ich mich so freue, nein: Ich träume von mehr, von einer neuen Ära Ferrari. Einmal mit der Scuderia den Titel zu holen, ist schon ein Traum, ganz klar. Dieses Kunststück aber ein- oder zweimal zu Wiederholen? Das wäre Wahnsinn. Das ist mein Ziel!“

Der Sieg beim darauffolgenden Rennen in Malaysia sollte dann auch gleich denjenigen, die nun ein Motivationsloch bei Michael vermutet hatten, den Wind aus den Segeln nehmen.

Quellen: FIA Saison Review  2000. Christopher Hilton „Michael Schumacher - Seine Ferrari-Jahre", deutsche Übersetzung 2000. Formel 1 Saison '00, Neckarsulm 2000. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Heinz Prüller "Grand Prix Story 2000", 2000. BILD "Faszination Formel 1 2001", Hamburg 2001. Sabine Kehm "Michael Schumacher", 2006. Thüringer Allgemeine Zeitung vom 09.10.2000.

2. Rennen der Saison '01

Der Große Preis von Malaysia auf dem Sepang International Circuit in Kuala Lumpur

18. März 2001

Das erste Mal seit 1996 zierte wieder die Nummer eins das Auto von Michael. „Es ist ein tolles Gefühl, diese Nummer wieder auf dem Auto zu haben. Dafür haben wir lange genug gearbeitet“, und er wollte alles daran setzen, dass dies noch lange so bleibt: „Natürlich ist das mein Ziel, für das wir genauso hart arbeiten werden wie im letzten Jahr. Ob es am Ende reicht, werden wir sehen.“
Eines jedoch war klar: Den riesen Druck, endlich Weltmeister mit Ferrari zu werden, den gab es nicht mehr. „Ich fühle mich relaxt. Ich habe einige Kilos weniger auf meinen Schultern“, sagte ein gut gelaunter Weltmeister auf der Pressekonferenz am Donnerstag beim Saison Auftakt in Melbourne, der seinen Konkurrenten gleich noch etwas mit auf den Weg gab: „Ich bin Rennfahrer mit Haut und Haar. Deshalb freue ich mich auf jeden Kampf. Daran hat sich auch nach 28 Jahren in diesem Sport nichts geändert.“ Von einem Motivationsproblem konnte also keine Rede sein.
Zu einer Art Runing-Gag wurde das 1. Freitagstraining der neuen Saison für Michael. Schon im Jahr zuvor flog er im Training von der Strecke. Diesmal allerdings hatte das Training etwas Neues für ihn parat: Einen zweifachen Überschlag. „Es war der erste. Das war wieder eine neue Erfahrung. Das Ganze ist sehr weich abgerollt. Es war überhaupt nicht schlimm.“ Corinna blieb in den Boxen der Schock erspart. „Als ich auf den Monitor schaute", erzählte sie, „war schon alles vorbei. Ich dachte nur - was ist denn jetzt schon wieder passiert?"

Michael dominierte darauf im Albert Park derart souverän mit einer Pole, einem Start-Ziel-Sieg und der schnellsten Rennrunde, dass nach dem Rennen direkt die Frage gestellt wurde, wer ihn und Ferrari diese Saison daran hinder sollte die WM erneut zu gewinnen.

Gut erholt nach einem Kurzurlaub kam Michael nach Kuala Lumpur, wo die Wellen an der Politikfront bereits hoch schlugen. Losgedrehten wurde die Diskussion von Heinz-Harald Frentzen. Der hatte auf seiner Internetseite dem - von Ferrari mit Vorjahresmotoren ausgerüsteten - Sauber-Team unterstellt in Melbourne eine unerlaubte Traktionskontrolle eingesetzt zu haben. In diesem Zusammenhang sei auch davon auszugehen, dass Ferrari im Jahr zuvor „dubiose“ Dinge benutzt habe. Ein Sprecher des Sauber Rennstalls reagierte empört und verwies den Einsatz illegaler elektronischer Fahrhilfen in den Bereich der Fabelwelt. Auch FIA-Präsident Max Mosley meldete sich zu Wort: „Die FIA kann wohl besser beurteilen, mit welchem Equipment die Teams an den Start gehen.“ Michael konnte die Aussagen von Frentzen natürlich nicht auf sich sitzen lassen. „Derartige Verdächtigungen schaden der Formel 1. Wenn jemand davon überzeugt ist, dass ein Konkurrent illegales Material einsetzt, dann soll er Protest einlegen.“
Die Stimmung war gereizt, und der Kreis schloss sich, als Frentzen in Sepang Rede und Antwort stehen musste. Der Mönchengladbacher wusch seine Hände in Unschuld: „Ich habe ja nie behauptet, das gegen die Regeln verstoßen wird, sondern lediglich über meine Eindrücke gesprochen.“ Worüber sich Michael nur noch mehr ärgerte: „Immer dasselbe. Zuerst wird etwas behauptet, dann halb zurück genommen, und am Ende heißt es dann immer noch: Das ist dubios. Wir leben in einer Welt der Spekulationen. Frentzen weiß gar nicht, was er da anrichtet.“
Doch das war nicht die einzige Geschichte die Michael in Malaysia mit dem Sauber-Team verbunden hatte. Er dachte an Filmaufnahmen für die „Versteckte Kamera“, als er gefragt wurde, ob er den Schweizer Rennstall kaufen wolle. Herzhaft lachend, antwortete er: „Sauber ist ein großartiges Team, aber soweit geht die Liebe nicht.“ Obwohl er kein klareres Dementi hätte geben können, kochte in Kuala Lumpur die Gerüchteküche trotzdem weiterhin.
Ab Malaysia trug Michael auch einen neuen Helm. Gab es noch in Australien stress mit seinem früheren Ausrüster Bell, der per Gerichtsbescheid Michael dazu verpflichtet hatte weiterhin dessen Helme zu benutzen (ein Verstoß hätte Michael pro Einsatz eine Viertelmillion Mark gekostet), so fand man bis zum nächsten Rennen eine Lösung. Eine Abfindungszahlung machte den Wechsel von Bell zu Schubert perfekt. Der neue Helm war sicherer, leichter und damit bequemer – außerdem wurde die Luftströmung durch den speziell an den Ferrari F2001 angepassten Kopfschutz verbessert.

Ganz andere Sorgen hatte hingegen schon am Mittwoch Rubens Barrichello: Bei drückend heißen Temperaturen zuckte ein Blitz aus den tief hängenden Wolken und schlug nur wenige Meter neben ihm in einen Gullydeckel ein. Sekunden später konnte der Ferrari-Pilot schon wieder lachen. „Unglaublich“, sagte er, „der Blitz hat mich wohl als Brasilianer erkannt, Nirgendwo auf der Welt werden so viele Menschen vom Blitz erschlagen, wie in meiner Heimat.“

Im Freitagstraining mussten sich die beiden Ferrari-Piloten mit Platz eins und zwei zufrieden geben. Im Qualifying zogen sie jedoch wieder ihre Gala ab und eroberten die komplette erste Startreihe. Um 0,099 Sekunden hatte Michael die Nase vorn. Aber anders als vor zwei Wochen ging Platz drei nicht an Mika Häkkinen, sondern an Bruder Ralf. Dessen Leistung veranlasste Michael zu scherzen: „Irgendjemand soll ihn mal daran erinnern, wie jung er ist. Er braucht die Dinge noch nicht so sehr zu überstürzen.“

Die erste Aufregung gab’s für Michael schon vor dem Start. Wegen Problemen am Einsatzauto musste er sich im T-car anschnallen lassen.
Als das Feld von der Einführungsrunde zurückkehrte, spielte Fisichella verrückt. Er konnte seinen Startplatz nicht finden und parkte seinen B201 letztlich zwischen den parallelen Autoreihen. Das Prozedere wurde abgebrochen, Fisichella nach hinten verbannt und die Renndistanz vorschriftsmäßig um eine Runde gekürzt. Erneut führte Michael seine 21 Kollegen in eine Formationsrunde. Aber wieder lief nicht alles nach Plan. Montoyas Williams bewegte sich nicht vom Fleck.
Als endlich Gas gegeben werden durfte, nutzte Michael seine ideale Ausgangsposition fehlerfrei. Im Rücken des Titelverteidigers aber kam es zu erheblichen Positionsverschiebungen. So löste sich Barrichello nur schlecht von der Linie. Sofort wurde der Südamerikaner von Ralf auf der Außenbahn attackiert, und von Trulli, der sein Glück innen versuchte, in die Zange genommen. Ralf hatte beim Einlenken in die erste Kurve die Nase bereits klar vorne, als ihn Barrichello abschoss.
Michael kam mit einem Vorsprung von 1,3 Sekunden auf seinen rüden Teamkollegen aus der Startrunde zurück. Hinter dem roten Duo folgten zunächst Trulli, Coulthard – der als achter ins Rennen ging -, Frentzen, Verstappen – auf 18, als die Startampeln verloschen - und Villeneuve. Ganz hinten lagen Barrichello-Opfer Ralf und Montoya, der mit zehn Sekunden Verspätung aus der Boxengasse startete.
Auch in Runde zwei baute der Spitzenreiter seinen Vorsprung weiter auf 3,1 Sekunden aus. Oliver Panis verabschiedete sich hingegen wegen des Bruchs einer Ölleitung in Turn 6. Seinen Kollegen hinterließ der Franzose dabei unfreiwillig eine tückische Ölspur.
Während des dritten Umlaufes wurde der Spaziergang der beiden Ferrari-Piloten jäh unterbrochen: In Turn 6, dort wo Panis das Öl des Honda-V10 verloren hatte, rutschten die beiden roten Rennwagen synchron in den Kies der Auslaufzone. Die Szene erinnert an die großen Tage des Eiskunstlaufens der Paare. „Da fürchte ich schon: das Tempo, der Winkel, die Leitplanke – das geht sich nicht mehr aus. Mein Rennen ist zu Ende“, so Michael. Barrichello, knapp dahinter, fürchtete noch schlimmeres: „Wenn ich mich jetzt drehe, krache ich genau gegen Michaels Auto!“ Das Wunder: Beide konnten auf die Strecke zurück kehren. Doch bevor Barrichello den Rückweg auf die Piste gefunden hatte, waren Trulli und Coulthard durchgeschlüpft. Michael verlor noch mehr Zeit im Kies und war nur noch siebter. Neben den drei genannten hatte er nun auch Frentzen, Verstappen und Villeneuve vor sich. 6,8 Sekunden fehlten ihm nun auf den neuen Leader Trulli.
Aber Runde drei hatte noch mehr zu bieten als die unfreiwillig komische Einlage des Ferrari-Duos: In Teilbereichen der Piste ging plötzlich starker Regen nieder. Tropischer Regen! Am Ende des Feldes bogen einige Piloten zum Wechsel auf Regenreifen in die Boxengasse ab. Das Chaos auf der partiell überschwemmten Piste hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Der vierte Umlauf brachte – bedingt durch Aquaplaning – das Aus für Villeneuve, Bernoldi, Montoya und Heidfeld. Trulli, Coulthard und Barrichello kamen glimpflicher davon. Das Trio legte Pirouetten ein, konnte aber weite mitmischen. Das Safety-car rückte aus, während in der Boxengasse Hochbetrieb herrschte: In der Reihenfolge Coulthard, Frentzen, Barrichello, Michael, Verstappen, Trulli, Häkkinen, Button, Ralf und Mazzacane holten die zehn Erstplatzierten neue Reifen. Dabei wechselten die Ferrari-Fahrer auf Intermediates.
Der Stopp wurde für Michael zum Desaster. Ross Brawn: „Mein Fehler! Ich vergaß den Mechanikern zu sagen: Zuerst kommt Rubens rein, dann erst Michael.“ So stand der Brasilianer 1:15 Minuten ohne rechtes Vorderrad da – und genauso lang war Michael blockiert. „Ich wollte während des Wartens schon nach einer Tasse Kaffee fragen“, so später sein Kommentar. Der Titelverteidiger wurde vom vierten auf den elften Rang zurück geworfen. Aber er hatte Glück. Weil vorne das Safety-car bummelte, konnte er wieder den Anschluss an die enteilten Kollegen herstellen. Das unglaubliche Bild: Die Ferrari fuhren pro Runde 20 Sekunden schneller als das Safety-car. Ross Brawn stolz: „Wir haben binnen drei, vier Runden den Rückstand wettgemacht.“
Erst zu Beginn des elften Umlaufes hieß es wieder: Feuer frei! Sofort ging es drunter und drüber. Schon die erste Runde mit frei beweglichem Gasfuß brachte gewaltige Veränderungen der Reihenfolge. Verstappen verdrängte HHF vom zweiten Platz. Ralf gelang ein gewaltiger Sprung vom achten auf den fünften Rang. Sein Bruder machte immerhin zwei Positionen gut. Positionswechsel gab es nun am laufenden Band. Und speziell die mit ihren Intermediates ideal bereiften Ferrari schlugen gnadenlos zu. Michael machte dabei – gerade kam die Funkanweisung, man solle es geruhsam angehen lassen – auch vor dem eigenen Teamkollegen nicht Halt. Der war deshalb sauer und schimpfte später: „Ich lief auf Alesi auf und nahm Gas weg. Gemäß der Anweisung wollte ich kein Risiko eingehen und den Prost erst hinter der nächsten Kurve überholen. In diesem Augenblick schlug Michael überraschend zu.“
Und Michael stürmte weiter nach vorne. Phasenweise pro Runde fünf Sekunden schneller als seine Rivalen. Sein Ferrari fuhr dabei wie auf Schienen um den Kurs, als hätte es die feuchte Piste gar nicht gegeben. Während des 16. Umlaufes übernahm er wieder das Kommando. Scheinbar mühelos und lässig fuhr er seinem sechsten GP-Sieg in Folge entgegen. Sein Vorsprung wuchs derart schnell an, dass er die Führung auch dann nicht abgab, als er nach 30 Runden auf Trockenreifen umrüsten lies. Gegen Ende des Rennens konnte Michael es langsam angehen lassen und hatte trotzdem noch einen Vorsprung von fast 27 Sekunden auf Barrichello der vor Coulthard über die Ziellinie fuhr.

Mit Glück, der richtigen Reifenwahl und dem nötigen Geschick konnte Michael so ein schon verloren geglaubtes Rennen doch noch gewinnen und seinen sechsten Sieg in Serie landen. „Solche Siege liebe ich“, jubelte er, „das war ein aufregendes Rennen.“

Der Rest der Saison gestaltete sich genauso erfolgreich, er landete zwar nicht immer im Ziel (2 Ausfälle) aber wenn, dann stand er auf dem Podest. Die einzige Ausnahme bildete hier Monza, es war das erste Rennen nach dem 11. September und man wurde den Eindruck nicht los als hätte sich Michael aus dem Kampf um das Podium herausgehalten. Die WM war zu diesem Zeitpunkt schon lange entschieden. „Ich liebe euch alle“, waren die ersten Worte an sein Team in Ungarn. Nach einer stürmischen Siegerehrung wurde Michael beinahe von seinen Gefühlen übermannt. Mehrfach hatte er einen Kloß im Hals und kämpfte gegen Tränen an, als er offiziell zur erfolgreichen Titelverteidigung Stellung bezog: „Ich mag ja ein recht guter Rennfahrer sein, aber leider fehlen mir die richtigen Worte, um meine augenblicklichen Gefühle zu beschreiben. Ich kann nur sagen wir hatten ein wundervolles Wochenende. Wir haben alles getan was wir tun konnten. Wir haben eine großartige Mannschaft, so ein gutes Team und ich liebe sie alle. Es macht so viel Spaß mit ihnen zu arbeiten. Es ist deren Leistung und ich bin jedem von ihnen mehr als dankbar.“ Und Michael versprach seinen Fans und auch der Konkurrenz, dass er weiterhin versuchen würde „erster zu werden. Ich fühle noch genug Feuer in mir, um noch für eine ganze Weile weiterzumachen.“

Quellen: FIA Saison Review  2001. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Thüringer Allgemeine Zeitung vom 2./18. März 2001. Heinz Prüller "Grand Prix Story 2001", 2001.

16. Rennen der Saison '02

Der Große Preis der USA inIndianapolis

29. September 2002

Wer geglaubt hatte nach 2001 könne es für Ferrari nicht noch besser laufen, der sah sich im Verlauf der Saison eines besseren belehrt. Schon Ende Juli konnte Michael seinen fünften Titel feiern und zog mit dem Legendären Juan Manuel Fangio gleich.  Nur elf Rennen benötigte er dazu. „‘Danke‘ ist ein ziemlich kleines Wort dafür, was wir alles zusammen erreicht haben: Für die Freundschaft, die Motivation, die Bereitschaft von allen, ständig hundert Prozent zu geben. So viel Freundschaft und Liebe untereinander, das ist schon etwas ganz Außergewöhnliches.“
Nach seinem WM-Triumph folgten zwei weitere Siege in Hockenheim und Spa. In Ungarn und Italien fuhr Michael jeweils hinter Barrichello über die Ziellinie. Der zweite Platz in der Fahrer-Wertung für Rubens sollte noch in trockene Tücher gebracht werden, um den endgültigen Triumph über die Konkurrenz zu feiern.

Wie in jedem Jahr reiste Michael früher in die Staaten, um sich Urlaub zu gönnen und sich dabei gleich an die Zeitzone zu gewöhnen: „Ich bin mit Corinna und ein paar Freunden Reiten gewesen“, so Michael. „Es war sehr heiß, ich konnte mich aber gut entspannen. Wenn ich in Italien zu 100 Prozent erkannt werde, dann kennen mich die Leute in den USA nur zu 50 Prozent. Ich freue mich nun schon auf den Grand Prix in Indy. Es stimmt, dass ich die Formel-1-Strecke hier nicht besonders anspruchsvoll finde, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht froh bin, hier zu sein."
Natürlich war aber auch in Indianapolis der zweite Platz von Rubens Barrichello in der Fahrerweltmeisterschaft das oberste Ziel, doch Michael kündigte an, dass man freier auffahren dürfe: „Unser Hauptziel ist es, Rubens auf den zweiten Platz in der Meisterschaft zu helfen. Natürlich hat sich alles seit dem Ergebnis von Monza verändert, denn Rubens hat nun eine ordentliche Führung gegenüber seinen Rivalen. Ich denke, dass wir aus diesem Grund im Rennen jede Menge Spaß haben werden. Sogar wenn ich gewinne, würde er Zweiter werden, das bedeutet, dass wir in den letzten zwei Rennen frei auffahren können und darauf freue ich mich!“

Angesichts der Tatsache, dass er seinen fünften Titel gewann, zehn Rennen für sich entscheiden konnte und ebenfalls so viele Punkte sammeln konnte wie nie zuvor, sprach Michael in Indianapolis von einer absoluten Traumsaison: „Es ist schwierig, Worte zu finden, die meine Gefühle beschreiben. Es gab wirklich besondere Momente wie in Magny-Cours oder in Spa. Ich kann sagen, dass dieses Jahr eine fast perfekte Situation war. Ob ich mich manchmal frage, ob dies alles überhaupt Wirklichkeit ist, wenn ich morgens aufwache? Ja, manchmal denke ich, dass ich mich selbst kneifen muss, so wie das am Montagmorgen nach Magny-Cours der Fall war, als ich vielleicht ein wenig zu viel getrunken hatte!“

Für Ferrari ging das Freie-Training am Freitag in Indianapolis mit der schnellsten Runde zu Ende. Obwohl Michael in der ersten Trainingsstunde kaum gefahren war, lag er am Ende des Tages deutlich vor der Konkurrenz. Er erzielte eine Bestzeit von 1:13.548 Minuten, womit er 0,575 Sekunden schneller als der erste Verfolger Eddie Irvine auf Platz zwei war. "Insgesamt können wir mit der Arbeit heute zufrieden sein", freute sich Michael. "Obwohl wir nur sehr wenige Runden am Morgen drehten, waren wir vorne dabei. Am Nachmittag arbeitete ich an einem Reifenprogramm. Ich muss sagen, dass ich über den Abstand zu den anderen überrascht bin dies ist etwas merkwürdig. Aber wir müssen morgen nicht dasselbe Bild sehen, wenn mit wenig Benzin gefahren wird. Es gab heute nicht viel Grip auf der Strecke, aber wir haben in der Vergangenheit ähnliche Situationen erlebt. Es ist für jeden das Selbe." Barrichello konnte unterdessen nur 30 Minuten lang am insgesamt zweistündigen Training teilnehmen, weshalb er auf dem letzten Platz der Zeitentabelle landete.
Ferrari dominierte auch das Qualifikationstraining. Michael sicherte sich zum sechsten Mal in diesem Jahr den besten Startplatz, Barrichello fuhr auf die zweite Position.
Zunächst hatte Michael seinen ersten Run abbrechen müssen, fuhr dann aber mit einer Zeit von 1:10.790 Minuten die schnellste Runde des Tages. "Du weißt nie, was du vom Qualifikationstraining erwarten sollst, weil wir schon oft am Freitag und Samstagmorgen einen großen Vorsprung auf die Konkurrenz gehabt haben, aber es dann am Samstagnachmittag eine ganz andere Situation war. Aber heute lief es für uns gut."
Das Warm-up hatte an der Spitze auch keine Überraschungen mehr parat. Michael war mit 1:13.183 Minuten die schnellste Rundenzeit gefahren. Auf den zweiten Rang kam wieder Teamkollege Barrichello, dem nur 0,138 Sekunden auf die schnellste Runde des Morgens fehlten.

Eng aber ohne größere Zwischenfälle ging der Start des 73 Runden langen Rennens über die Bühne. Michael konnte seine Pole Position vor Barrichello und David Coulthard verteidigen. Einziger Aufreger am Start war das Duell der Williams-BMW-"Kollegen": Ralf schob sich vor Montoya auf Platz vier, doch aus dem Glück des Tüchtigen wurde in der nächsten Runde Pech. In einer Kurve rutschte Ralf dem Kolumbianer in die Seite, beide Autos berührten sich, Ralfs Heckflügel flog auf und davon. Beim außerplanmäßigen "Not-Halt" verlor er allein in der Box 69 Sekunden und musste seine Aufholjagd vom 20. und letzten Platz starten. Auch die letzte theoretische Chance, hinter seinem Bruder noch Vizeweltmeister zu werden, war dahin.
Derweil zogen die "Roten" unangefochten ihre Kreise. Michael hielt Barrichello zwar auf Distanz, doch der Brasilianer verlor nie den Kontakt zum Auto mit der Nummer 1. Nach 20 Runden hatte er nur 1,6 Sekunden Rückstand, Coulthard im Silberpfeil hatte hingegen schon über 22 Sekunden. Eine Chance für ein Überholmanöver bekam Rubens jedoch nicht. Spannend wurde es erst durch die Boxenstopps. Beide waren auf einer Zwei-Stopp-Strategie unterwegs. Michael war der erste von beiden der die Ferrari Box ansteuerte. Einen großen Nutzen konnte Barrichello jedoch nicht draus ziehen, er konnte zwar den Abstand etwas verringern aber mehr war nicht möglich.
Auch nach dem zweiten Boxenstopp änderte sich nichts an der Spitze. Beide Ferrari-Piloten zogen vorne weiter einsam ihre Bahnen, jetzt jedoch nur noch mit gebremstem Schaum. Es ging nur noch darum den Doppelsieg nach Hause zu fahren, der Kampf der beiden war vorbei.
Dicht hintereinander nahmen Michael und Barrichello die letzte Runde in Angriff. Michael fuhr einem sicheren 64. Sieg entgegen, weil klar war, dass Rubens ihn nicht mehr angreifen würde. Doch was sich dann auf den letzten Metern ereignete sorgte für Sprachlosigkeit, Unverständnis und Belustigung, aber vor allem für absolute Verwirrung. Wie schon die Rennen zuvor ging der in Führung liegende Ferrari-Pilot vom Gas um mit seinem Teamkollegen hintereinander über die Ziellinie zu gehen. So sah es jedenfalls aus. Doch in Indianapolis passierte noch mehr. Michael ging nicht nur vom Gas, er ging sogar soweit vom Gas, dass Rubens in der Steilkurve neben ihn fahren konnte. Gemeinsam fuhren sie so über die Ziellinie. Doch wer hatte gewonnen? Als die Einblendung kam, dass Rubens das Rennen gewonnen hatte, war - zehn Rennen nach dem Ferrari-Teamorder Debakel - die Aufregung riesengroß. Hatte Ferrari Barrichello gewinnen lassen oder hatte der seine Chance eiskalt ausgenutzt und Michael den Sieg „geklaut“, um sich für Österreich zu rächen? Dass Michael Rubens von sich aus vorbei gelassen haben könnte, war für die meisten fast unvorstellbar.
Selbst am Ferrari Kommandostand fragte Jean Todt völlig verdutzt Ross Brawn, wer denn nun der Sieger sei. Der Brite, cool wie immer zeigte nur auf den Monitor mit den Daten. Als Brawn direkt nach dem Rennen befragt wurde, ob es sich bei dem Rennausgang um eine Team-Strategie handelte, antwortete er mit einem breiten Grinsen: „Wenn es geplant war, dann nicht von mir.“ Ob Michael von sich aus Rubens vorbei lassen wollte, wurde er noch gefragt. „Das müssen sie ihn selber Fragen.“

Michael und Rubens waren unterdessen aus dem Auto ausgestiegen. Man sah wie die beiden sich umarmten und miteinander redeten. Unglücklich sah Michael dabei nicht aus. Also keine Racheaktion von Barrichello? Wollte Michael also doch, dass Rubens vor ihm über die Ziellinie fuhr? Seine ersten Antworten in der Pressekonferenz verwirrten nur noch mehr: „Vielleicht, wer weiß. Ich meine, wir haben so viele Rekorde in diesem Jahr erzielt und das müsste jetzt das engste Finish sein oder? Ganz ehrlich, meiner Meinung nach sind Rubens und ich zusammen ein so großartiges Team, dass es nichts ausmacht. Wir arbeiten sehr hart, haben ein fantastisches Team um uns herum und haben uns immer unterstützt. Ich dachte heute, dass es eine gute Gelegenheit wäre zugleich über die Linie zu fahren. Das haben wir versucht, doch wir haben es knapp verfehlt.“
Auf die weiter nachbohrenden Fragen der Reporter gewehrte er immer mehr Einblicke in die Situation vor Rennende: „Ehrlich gesagt gab es keinen Plan. Ich dachte nur, dass er es verdient dieses Rennen zu gewinnen. Das Team bat mich nicht darum. Wir fuhren Seite an Seite und er siegte. Wir selbst wussten nach der Zieldurchfahrt gar nicht wer gewonnen hatte. Rubens fragte mich auf der Geraden, ob ich oder er gewonnen hat. Ich wusste das zu dem Zeitpunkt auch nicht. Wir bekamen erst Klarheit als wir auf einer TV-Leinwand das Ergebnis sahen."
Von einem amerikanischen Journalisten wurde er gefragt warum die amerikanischen Fans nicht verärgert sein sollten über einen solchen Ausgang: „Ich glaube nicht, dass man uns, wenn man sieht wie eng es zwischen uns zuging, Absicht unterstellen kann. Ich hatte das Gefühl und das habe ich ehrlich gesagt sehr oft, dass wir Seite an Seite fuhren. Wie ich schon vorhin sagte, so wusste auch ich nicht wer gewonnen hatte. Am Ende war es Rubens, der meiner Meinung nach auch den Sieg verdient hatte, denn man muss das alles im Gesamten sehen. Vielleicht mag der eine oder andere nicht unsere Meinung über das was heute passiert ist teilen, doch am Ende des Tages werden nie alle einer Meinung sein. Ich denke, dass Rubens den Sieg verdient. Wie ich schon sagte: Es gab keinen Plan. Wir versuchten einfach nur Seite an Seite ins Ziel zu fahren und wir waren Seite an Seite."
Und dann kamen die entscheidenden Worte: „Aus meiner Sicht war ich nicht sehr glücklich damit was in Österreich passierte, doch zum damaligen Zeitpunkt war das notwendig und das verstanden Rubens und ich. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass wir mit dem was heute geschehen ist das wieder ausgeglichen haben und ich ihm etwas zurückgeben konnte, so dass er spürte den Sieg zu verdienen. Wir haben ja nie gesagt, dass wir so etwas machen würden und hatten das auch nicht geplant. Es passierte einfach. In aller Aufrichtigkeit: Ich habe vorher gefragt, ob ich ihn vorbeilassen und ihm den Sieg schenken könnte und sie sagten Nein. Denn, und hier wiederhole ich mich, es gab keinen Plan. Das Team wollte also nicht, dass genau das was passiert ist auch passiert. Doch ich finde es schön, dass es passiert ist. Im Leben sollte man ehrlich und fair sein und genau das will ich tun."
Michael wollte also Rubens den Sieg schenken, doch um sich den Anweisungen seines Teams nicht zu wiedersetzen überlegte er sich etwas anderes. Das engste Fotofinish der Formel 1 Geschichte wurde es zwar nicht, aber sein Ziel hatte er am Ende trotzdem erreicht. Rubens hatte seinen Sieg bekommen und die Rechnung aus Österreich war beglichen. Die einen fanden die Situation komisch und gut, die anderen gingen hingegen mit Michael und Ferrari hart in die Kritik. Viele aber glaubten immernoch, dass es einfach nur ein Versehen war und man sich nur dumm angestellt hätte.

Mit seinem Sieg in letzter Sekunde war Barrichello nun auch zur angepeilten Vizeweltmeisterschaft gefahren und hatte Ferrari damit die erfolgreichste Formel-1-Saison aller Zeiten beschert. „Wir haben einen Mordsspaß gehabt, da war aber nichts abgesprochen. Michael hat wohl einfach versucht, dass wir nebeneinander über die Ziellinie fahren", versicherte auch Barrichello. „Ich muss Michael danken - zusammen haben wir alles gegeben und alles erreicht."

So ganz vergessen war die ganze Geschichte auch in Suzuka noch nicht. Ob er irgendwelche Pläne für die Zieldurchfahrt hätte, wurde er in der Startaufstellung kurz vor dem Rennen gefragt. „Ne... aber ihr kenn mich ja. Ich bin immer mal wieder für eine Überraschung gut“, antwortete er grinsend und wendete sich seiner Arbeit zu.
Es folgte ein in dieser Saison gewohntes Bild. Michael nutzte seine Pole-Position perfekt und fuhr ein fehlerfreies Rennen. Und weil Barrichello am Ende an zweiter Position zehn Sekunden hinter ihm lag, nahm Michael auch dieses Mal wieder Gas weg und lies den Brasilianer in der letzten Runde aufschließen. Geradezu provokativ langsam fuhr er auf den Mann mit der schwarz-weiß-karierten Flagge zu. Doch diesmal blieb Barrichello hinter ihm.
Ferrari war 2002 einfach so dominant, dass man sich solche Spielchen nach Belieben erlauben konnte. „Es ist unglaublich. In dieser Saison bin ich bei jedem GP ins Ziel gekommen und stand immer auf dem Podest“, sagte Michael überglücklich.
Die Aufgabenstellung für die Konkurrenz in der nächsten Saison war klar: Wollten sie von Ferrari nicht weiter so vorgeführt werden musste etwas geschehen. Die Regeländerungen sollten ihnen dabei behilflich sein.

Quellen: FIA Saison Review  2002. RTL Berichterstattung vom Rennen 2002.

4. Rennen der Saison '03

Der Große Preis von San Marino in Imola

20. April 2003

Die Saison 2003 hatte nicht gerade prickelnd begonnen: Nur ein 4. Platz in Australien, eine Runde Rückstand in Malaysia auf den Sieger (Platz 6) und der K.o. in Runde 27 durch Aquaplaning im Regen-Rennen in Interlagos – ein gelungener Saisonauftakt sah anders aus.

Sechs Wochen nach Saisonbeginn gab die Formel 1 ihr erstes Gastspiel des Jahres auf europäischem Boden. Spätestens hier musste Michael seine Ansprüche auf den Titel anmelden. Für ihn wurde es höchste Zeit, ein Zeichen zu setzen.
Entgegen den allgemeinen Erwartungen entschlossen sich die verantwortlichen der Scuderia Ferrari acht Tage vor der extrem kurzen Anreise von Maranello nach Imola, auch im vierten WM-Lauf des Jahres auf Boliden vom Typ F2002, das Modell der Vorsaison, zu setzen.
Der Druck auf Team und Fahrer war im Heimatland von Ferrari dementsprechend hoch.

Michaels Gedanken und die seines Bruders kreisten jedoch um die erkrankte Mutter, die nur wenige Tage zuvor nach einem Zusammenbruch in der Kölner Universitätsklinik eingeliefert wurde. Nachdem sie im Anschluss an eine Notoperation von den behandelnden Ärzten in ein künstliches Koma versetzt wurde, hing das Leben von Elisabeth Schumacher an einem seidenen Faden…
Die Freitags-Tester waren bereits seit 50 Minuten unterwegs, als Michael vom nahegelegenen Parkplatz aus ins Fahrerlager schlenderte, wo er nach wenigen Metern Jean Alesi über den Weg lief. Die beiden Freunde umarmten sich, und Michael nahm sich Zeit für einen kurzen Schwatz, bevor er im Ferrari-Motorhome verschwand. Die familiären Sorgen ließ er sich nicht anmerken.

Im ersten Freien Training fuhren die Williams Piloten Bestzeit. Ralf setzte sich mit 0,074 Sekunden Vorsprung gegen seinen Teamkollegen Montoya durch. Zum Dritten, Mark Webber, klaffte bereits eine Lücke von mehr als sieben Zehntelsekunden! Den favorisierten Ferrari-Piloten gelang nicht nur das denkbar knappe Eindringen in die Top Ten, Michael und Rubens fuhren auf die Tausendstelsekunde identische Zeiten. Für beide blieben die Uhren bei 1:23,057 Minuten stehen. Barrichello hatte dabei die Nase vorn, da er den Wert vorgelegt hatte und Michael lediglich nachzog.
Am frühen Nachmittag, während des ersten Qualifyings, setzte sich die rote Hausmacht jedoch durch. Aus Sicht der Scuderia, die den überfälligen ersten Saisonsieg heimfahren wollte, lief alles nach Plan: Platz eins für Michael, Rang zwei für Barrichello, dessen Zeit Ralf allerdings um nur 0,111 Sekunden verpasste.
So kam es nicht überraschend, dass sich Michael samstags vor seinem jüngeren Bruder – der vormittags nach einem Dreher ausgangs der Variante Alta in der Pistenbegrenzung gelandet war – die Pole-Position sicherte. Nur 0,014 Sekunden trennten die beiden. Die Abstände waren insgesamt recht knapp: Fernando Alonso fehlten als achtem gerade einmal 0,842 Sekunden auf den Champion. Auffällig war noch etwas anderes. Neben den beiden Ferraris vertraten lediglich die zwei BAR die Bridgestone-Kundschaft in der Top-Ten.

Nach dem entscheidenden Qualifying hakten Michael und Ralf ihre Debriefings mit den Ingenieuren im Zeitraffer ab. Um 17:30 Uhr verließen beide gemeinsam mit ihren Ehefrauen das Fahrerlager in Richtung Flughafen. Die Szene wandelte sich zur peinlichen Groteske, als pietätlose Fotografen den Weg versperrten, denn das Motiv für die Abreise war kein Geheimnis: Sie wollten Abschied von ihrer Mutter nehmen, deren Zustand keinerlei Hoffnung mehr lies. Ihr Privat-Jet schwebte abends um 22:30 Uhr wieder ein…

Am Sonntagmorgen betrat Ralf mit seiner Frau Cora das Fahrerlager in schwarz gekleidet. Michael folgte etwas später in Begleitung von Corinna und Jean Todt. Die Gesichtszüge des Weltmeisters waren ernst, eine Sonnenbrille verbarg die Augen. Fans von den oberen Rängen der Tribüne Variante Bassa – von dort hatte man nach hinten schauend Einblick in den Eingangsbereich des Paddock – skandierten: „Michele – Michele – Michele! Offenbar waren sie nicht über den Zustand der Mutter informiert. Michael zeigte Verständnis, hielt kurz inne, wendete sich den Fans zu und winkte. Dann verschwand er in Ferraris rollendem Hauptquartier. Wenig später wurde bekannt: Elisabeth Schumacher war in den frühen Morgenstunden an einem tückischen Krebsleiden verstorben.
Jean Todt und Frank Williams stellten es Michael und Ralf darauf hin frei, ob sie am GP von San Marino teilnehmen wollten. Prompt begann die Diskussion darüber, ob die beiden fahren „dürften“. Und natürlich fanden sich sofort viele, die diese Frage mit einem klaren „Nein“ beantworteten. Nur, so wurde argumentiert, extrem seelenlose und geldgierige Menschen könnten ihrem Beruf nachgehen, wenn der Tod der eigenen Mutter erst wenige Stunden zurück liege. Im Vergleich zu diesen Stimmen, die sich montags in diversen Zeitungen gedruckt wiederfanden, verhielten sich die Blockade-Fotografen am Vortag geradezu sensibel…
Tatsächlich konnte diese Frage nur ganz alleine und individuell von Michael und Ralf beantwortet werden. Beide entschieden sich - wie 1988 Andrea de Cesaris, den damals in Imola der gleiche Schicksalsschlag traf – für eine Teilnahme am Rennen. Abends nach dem Rennen teilte Michael die Gründe dafür mit: „Meine Mutter liebte es, auf der Kartbahn zu sein. Sie liebte es, wenn wir in unseren Karts über die alte Strecke in Kerpen düsten. Und sie liebte es, uns Rennen fahren zu sehen. Unsere Eltern haben uns immer unterstützt. Sie haben uns ermöglicht, das zu tun, was wir tun. Mama hätte gewollt, dass wir dieses Rennen heute fahren, da bin ich mir sicher.“ Ob das zutrifft oder nicht, konnte niemand besser beurteilen als die beiden selber.
Die Rennleitung befreite die beiden Trauernden von der Teilnahme an der Fahrer-Präsentation, und als die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, erinnerten äußerlich nur die Mienen der Betroffenen, der Trauerflor am rechten Oberarm des Ferrari-Stars und Ralfs Helm mit zusätzlichem schwarzen Rand an das tragische Ereignis der letzten Nacht. Ungewöhnlich früh für Michael fuhr dieser in die Startaufstellung und blieb die ganze Zeit in seinem Auto sitzen. Seine Mechaniker standen um seinen Ferrari herum und schotteten ihn zusätzlich von den lästigen Fotografen ab.

52.000 Zuschauer hatten sich versammelt, als der Motorenlärm Sekunden vor dem Start anschwoll, während die fünf roten Lichter der Startampel nacheinander eingeschaltet wurden. Die Spannung war auf dem Siedepunkt, dann verloschen die roten Punkte und das Feld ging auf die 62-Runden-Reise. Vorne beschleunigte Ralf seinen älteren Bruder aus. Dahinter folgten Barrichello, Montoya, Raikkonen und Alonso.
Schnell wurde deutlich, dass die beiden führenden Piloten nicht angetreten waren, um im Gedenken an ihre Mutter einige Ehrenrunden zu drehen. Michael setzte Ralf gewaltig unter Druck – doch der hielt dagegen. Nach vier Umläufen schien sich der Champion endlich durchsetzen zu können. Bei Start-und-Ziel betrug der Rückstand kaum sichtbare 0,098 Sekunden… Doch Ralf behielt die Nase vorn. Zweikämpfe dieser Art kosten bekanntlich Zeit – entsprechend ließ sich Barrichello, dem Montoya im Nacken saß, nicht abschütteln. Erst dahinter klaffte nach zehn Runden eine Lücke zu Raikkonen und Alonso.
Das Bild an der Spitze änderte sich erst, als Ralf nach 16 Umläufen seinen ersten Routine-Stopp – Standzeit: 6,4 Sekunden – einlegte. Jetzt hatte Michael freie Fahrt. Und davon machte er nach allen Regeln der Kunst Gebrauch. Er drehte die 17. Runde in 1:22,491 Minuten. Das war die schnellste Runde des Tages. Dann holte auch er Benzin und Reifen, in 8,2 Sekunden war der Job erledigt.
Nun führte zwar Raikkonen vor Coulthard, beide waren noch nicht an den Boxen, dahinter aber folgten die Geschwister in neuer Reihenfolge. Für den Platztausch war aber nicht nur Michaels Sprint verantwortlich, denn dieses Plus ging durch die relativ lange Standzeit verloren. Ralf erwischte beim Anfahren nicht direkt den ersten Gang.
Als nach 22 Umläufen die Silberpfeile ihren ersten von nur zwei Service-Stopps hinter sich hatten, führte Michael mit 6,2 Sekunden Vorsprung vor seinem Bruder. Dahinter lauerten Barrichello und Raikkonen in Schlagdistanz, dann – mehr als vier Sekunden hinter dem Finnen – folgte Montoya.
Als die zweite Service-Welle der Drei-Stopper anrollte versagte die Tankanlage beim Versuch, Montoyas FW25 mit Treibstoff zu versorgen. Zwei Umläufe nach dem Malheur, zum Ende der 32. Runde, floss der Sprit endlich. Chancen auf eine gute Platzierung konnte sich der Kolumbianer damit abschminken. Es zeichnete sich ein Kampf der unterschiedlichen Strategien ab, bei dem Ralf wegen dem immer größeren werdenden Rückstand auf seinen Bruder keine Rolle mehr spielen sollte. Michaels neuer Gegner lautete Raikkonen.
Nach seinem zweiten Boxenstopp lag Kimi nur noch knapp hinter dem Champion. Die letzte Service-Runde würde die Entscheidung bringen, das war allen Beteiligten und Zuschauern klar.
Raikkonen kam
 in Runde 44 als erster zum Nachtanken und Reifenwechseln herein, verlor dabei allerdings etwas Zeit beim Wiederanfahren. Aber auch für Michael lief es nicht Ideal. In derselben Runde unterlief ihm ein kleiner Fehler als er zu hart am pushen war. In einer Kurve wurde er zu weit nach außen getragen und landete mit dem halben Auto auf dem Grünen neben der Strecke. Eiskalt blieb Michael auf dem Gas und verlor so nur minimal Zeit. Da Kimi in den darauffolgenden Runden wegen einem schwereren Auto die Zeiten von Michael nicht mitgehen konnte änderte sich auch fünf Runden später nach dem dritten und letzten Boxenstopp des Champion nichts an der Reihenfolge an der Spitze. Mit fast 20 Sekunden Vorsprung kam Michael wieder auf die Strecke zurück.
Auch Barrichello wurde Opfer eines verpatzten Stopps. Bei seinem dritten Halt ließ sich der Zentralverschluss des Rades nicht festziehen. Mehrmals musste der F2002 wieder aufgebockt werden, bevor der Südamerikaner nach 13,3 Sekunden wieder Gas geben konnte. Rubens musste von Glück sprechen, dass er sich anschließend an Ralf - dessen dritter Reifensatz offensichtliche Grip-Probleme hatte – noch vorbei kämpfen konnte. Zum Zwei-Stopper Raikkonen schloss er zwar in der Schlussphase locker auf, überholen konnte er ihn allerding nicht.
Michael ließ sich auf seinen letzten Runden im alten F2002 reichlich Zeit. Sein Vorsprung schmolz mit jeder noch zu fahrenden Runde. Von den 20 Sekunden blieben am Ende nur noch 1,8 Sekunden übrig. Hinter den drei Erstplatzierten kamen Ralf, Coulthard, Alonso, Montoya und Button in die Punkte.

Bei der Siegerehrung verdiente sich das Publikum einen Extrapreis: Keine Spur von Party-Stimmung  - man nahm Rücksicht auf die Gemütslage des Siegers. Denn kaum hatte die Konzentration nachgelassen, die notwendig war, um einen F1-Boliden mit einem Durchschnittstempo von über 200 km/h am Stadtrand von Imola zu bewegen, kamen bei Michael natürlich die schwarzen Gedanken zurück. Während der Sieger-Zeremonie, an der er trotz allem teilnahm, sprach sein Gesicht Bände. 18 Minuten später machte er sich mit Corinna auf den Weg Richtung Heimat; die FIA hatte in offiziell von der obligatorischen Pressekonferenz, bei der die drei Erstplatzierten Piloten Rede und Antwort stehen mussten, suspendiert.

Quellen: FIA Saison Review  2003. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.

15. Rennen der Saison '03

Der Große Preis der USA in Indianapolis

28.September 2003

Eine bis dato turbulente Saison lag hinter Michael. Nach seinem Imola Erfolg folgten zwei weitere Siege in Spanien und Österreich, ein dritter Platz in Monaco und ein Sieg in Kanada. Der Sommer jedoch hatte kaum etwas Positives für Michael zu bieten. Auch wenn er die WM-Führung, die er nach dem Kanada Rennen erobert hatte, halten konnte – mehr als ein dritter Platz in Frankreich war nicht drin. Den Absoluten Tiefpunkt bildete der achte Rang in Ungarn.
Doch was schon keiner mehr geglaubt hatte trat ein: Michael gewann ein Rennen nach Ungarn den Grand Prix von Monza. Er meldete sich zurück, und wie! Mit Pole, Start-Ziel-Sieg und der schnellsten Rennrunde und was noch viel wichtiger war: Beim nächsten Rennen in Indianapolis konnte er nun unter bestimmten Bedingungen sogar schon vorzeitig Weltmeister werden.

Ganz anders als in den weiten Gebieten Europas, war der Sommer im US-Bundesstaat Indiana grauenvoll verlaufen, was das Wetter betraf: Kalt, nass und stürmisch. Ende August fielen in und um die Hauptstadt Indianapolis herum innerhalb von nur 24 Stunden knapp 18,3 Zentimeter Regenwasser. Damit wurde ein 108 Jahre alter Rekord geschlagen. Bürgermeister Bart Peterson erklärte die Region zum Notstandsgebiet. Auch der Indianapolis Motor Speedway stand unter Wasser, aber die Pistenverwaltung bestätigte umgehend, dass der Austragung des Grand Prix der USA – nicht ganz einen Monat war es bis zum entsprechenden Termin – nichts im Wege stand. Woher diese Gewissheit genommen wurde, blieb ein Geheimnis. Tatsächlich sollte das Rennen problemlos, aber keineswegs auf trockenem Asphalt, über die Bühne gehen.

Die Titelaspiranten gaben sich Donnerstagmorgen entspannt. In gewohnter Lässigkeit gab Juan Pablo Montoya zu Protokoll: „Die Situation ist doch unverändert. Ich liege drei Punkte zurück. Also werde ich am Sonntag alles tun, um diese Lücke kleiner zu machen. Ich werde versuchen, mit Michael in Kontakt zu bleiben und Kimi weiterhin hinter mir zu halten. Sicherlich wird es interessant, aber ich rechne mir ein gutes Resultat aus.“
Kimi Raikkonen, der sein Geld als Redner wohl nicht verdienen könnte, teilte mit sparsamsten Lippenbewegungen mit: „Ich habe mich auf dieses Rennen vorbereitet, wie auf alle anderen Rennen auch. Unser Auto sollte hier besser mit den Williams und Ferrari mithalten können als beim letzten Rennen. Das hoffe ich jedenfalls.“
Auch Michael blieb cool, als er sagte: „Meiner Meinung nach haben wir uns auf dieses Rennen gut vorbereitet. Viele Leute weisen darauf hin, dass Ferrari hier immer stark war. Dafür kann ich mir wenig kaufen, den Vergangenheit bringt mir hier auch keinen Vorteil. Was alleine zählt, ist die Gegenwart. Wir sind jetzt in einem WM-Stadium, in dem weniger geredet als gehandelt werden sollte.“ Selbstverständlich wollte er seinen Vorsprung ausbauen, um in Suzuka aus eigener Kraft Champion werden zu können.
Natürlich zählten auch die Reifen mit zu den Themen, die im Vorfeld einer möglichen Vorentscheidung im Titelkampf diskutiert wurden. Bei herrlichem Spätsommerwetter blinzelte Williams-Ingenieur Frank Dernie in Richtung Sonne und sagte: „So muss es bleiben. Das wären für uns ideale Bedingungen. Es darf weder kälter werden noch regnen.“ Damit spielte der Brite auf die Hitzeempfindlichkeit der Bridgestone-Trockenreifen an. Auf die Tatsache, dass die Michelins aufgrund ihrer relativ weichen Flanken in der überhöhtem Zieleingangskurve Nachteile bringen könnten, hatten die Franzosen rechtzeitig reagiert und Pneus mit steiferen Flanken gebacken.

Freitags ging die Provisorische Pole an Jarno Trulli. Bei wechselndem Wetter, mal nass, mal trocken landete Michael, der zuerst auf die Piste gehen musste nur auf Rang acht, Montoya wurde fünfter und Kimi landete sogar nur auf neun. "Die Fahrer zu Beginn waren leicht benachteiligt, besonders nach dem Regen heute Morgen, wodurch die Strecke dreckig war und wenig Grip bot", erklärte Michael. "Das erklärt meine Zeit und meine Platzierung. Wenn man sich die Zeit von Rubens und Ralf anschaut, so sieht man, dass wir eng beieinander liegen. Am Morgen war ich mit der Leistung des Autos im Trockenen zufrieden, aber durch den Regen können wir nicht viele Rückschlüsse aus dem Setup ziehen. Hoffentlich haben wir morgen alle dieselben Bedingungen."

Der Samstag begann für Michael allerdings auch nicht besser. Erst konnte er im dritten freien Training gar nicht fahren, weil er seinen Ferrari schon in der ersten Runde am Rand abstellen musste und die Konkurrenz nur neben der Strecke beobachten konnte und dann landete er im entscheidenden Qualifikationstraining nur auf Rang sieben. Kimi Raikkonen hingegen konnte sich die zweite Pole seiner F1-Karriere sichern. Als vierter sollte Montoya immerhin aus der zweiten Reihe starten dürfen. Mit Blick auf einen möglichen Suzuka-Krimi schien die Startaufstellung ideal zu sein. Aus der Perspektive des Titelverteidigers war sie schlicht eine kleine Katastrophe.

Über Nacht waren die Temperaturen deutlich gesunken. Knapp 45 Minuten vor dem Start zogen dunkle Wolken auf. Wenig später begann es zu tröpfeln. Auch einige Hagelkörner fielen. Die Rennleitung reagierte um 12:25 Uhr, indem sie offiziell mitteilte, dass sich das Wetter verändert hatte. Die Teams konnten nun kleinere Abstimmungs-Modifikationen an den Boliden – den Frontflügeln, die Kühlung und die Öffnung in den Sidepods betreffend – vornehmen.
Pünktlich rollte das Feld in die Einführungsrunde. Dann der Start! Vorne ließ Pole-Setter Raikkonen nichts anbrennen. Vor Oliver Panis lenkte der Finne seinen Silberpfeil in Turn 1 ein. Dahinter Ralf und Michael. Drei Plätze hatte der Titelverteidiger auf den ersten Metern gutmachen können. Der große Verlierer am Start war Montoya, der fand sich auf Rang sieben wieder.
Im Verlauf der zweiten Runde konnte Raikkonen seinen Vorsprung vor Panis von 1,6 auf 2,4 Sekunden ausbauen, während der Franzose seinerseits unter zunehmenden Druck durch Ralf geriet. Inzwischen hatte es in einigen Streckenabschnitten leicht zu regnen begonnen. Lange konnte der Toyota-Pilot nicht mehr Wiederstand leisten. In Runde drei musste er dem Verfolger weichen. Knapp drei Sekunden später attakierte am selben Schauplatz, dem Turn 1, Montoya den Vorjahressieger Barrichello. Der Angriff erfolgte auf der Außenbahn. Der Brasilianer hielt dagegen. Für wenige Meter lagen die beiden Boliden auf Parallelkurs. Dann, in Turn 2, berührten sich die Rennwagen. Während Montoya seine Fahrt, jetzt zusätzlich hinter die beiden Renault zurückgefallen, fortsetzen konnte, kreiselte der Ferrari in den Kies – Barrichello war „out“ und Montoya musste einige Zeit später einmal zur Strafe durch die Box fahren zu einem Zeitpunkt in dem der Regen stärker wurde und er eigentlich hätte auf Regenreifen wechseln müssen.
Inzwischen hatte sich einiges auf der Piste getan: Zu Beginn der fünften Runde schob sich Michael an Panis vorbei auf Platz drei. Dabei gelang es ihm, sich am Ende der Start-und-Zielgeraden – wo seit dem Montoya-Barrichello-Zwischenfall Warnflaggen geschwenkt wurden, unmittelbar vor dem ersten „Gelb-Wedler“ an dem Toyota vorbeizuschieben. Prompt wurde die Frage aufgeworfen, ob der Champion illegal unter Gelb überholt hatte. Die Antwort lautete eindeutig: Nein! Die Regeln sagten klipp und klar, dass das Überholverbot nicht beim Anblick gelber Flaggen in Kraft trat, sondern erst in deren Höhe. Den Stewards waren diese Paragraphen bekannt und entsprechend ließen sie Michael unbehelligt. Es regnete nun stärker und keine Position schien annähernd stabil bezogen, sah man einmal von Raikkonen und Ralf ab, denn jetzt fiel Michael im Verlauf von nur einer Runde hinter DC, Montoya und Alonso zurück. Erinnerungen an Melbourne wurden wach: Auf nassem Pistenbelag waren die Trockenreifen des Herstellers Michelin den Bridgestone-Produkten deutlich überlegen.
Acht Runden, gut zehn Prozent der Distanz, waren gefahren. Da begann die Piste abzutrocknen. Endlich schien etwas Ruhe einzukehren. Die Piloten gönnten sich und den Fans eine kurze Phase relativer Ruhe. Außer Michael, der hatte es nurn wieder eilig und drehte auf der trockenen Piste eine schnellste Runde nach der anderen. Nach 15 Runden läutete Ralf die erste Serie geplanter Boxenstopps ein. Zwei Umläufe später brachten Coulthard, Montoya und Heidfeld ihre Crews auf Trab. Weil bei Williams wegen eines klemmenden Tankrüssels die zweite Anlage aktiviert werden musste, parkt Montoya 15,6 Sekunden lang an der Box. Nun regnete es wieder. Raikonnen kam an die Box blieb aber den Trockenreifen treu, während sich Frentzen Regenreifen holte. Und es blieb hecktisch. 21 Runden waren gefahren, als Michael seinen Stopp einlegte. Die Regentropfe fielen inzwischen wesentlich dichter. Aber Michael – „Ich wollte wegen des stärker werdenden Regens in letzter Sekunde umdisponieren, verzichtete aber darauf, weil ich zu große Unruhe im Team befürchtete“ – ließ sich den bereitliegenden Satz Trockenreifen montieren. Diese Entscheidung war falsch. Eine Runde später musste er erneut an die Box um sich Intermediates zu holen. Ralf war inzwischen mit seinen Trockenreifen in Führung liegend von der Bahn gekreiselt, gleiches Unglück ereilte Webber der kurz in Führung lag. Eine weitere Runde später kamen Raikkonen und das Ranault-Duo zu ihren Mechanikern. Montoya fuhr zu diesem Zeitpunkt zwar auch durch die Boxen, durfte aber wie schon erwähnt keine Reifen wechseln, weil er erst seine Strafe absitzen musste. Erst eine Runde später durfte auch er auf Regenreifen wechseln.
Damit bot sich an der Spitze nach 23 Runden folgendes Bild: Button führte mit knapp einer Sekunde –Tendenz steigend – Vorsprung vor Frentzen. Als Drittem fehlten Wilson 4,5 Sekunden auf den BAR-Piloten. Alle drei hatten bei ihren Stopps alles richtig gemacht. Raikkonen folgte mit weiteren zwei Zehntelsekunden Rückstand. Dahinter zirkulierten Coulthard, Alonso und Michael, der 10,4 Sekunden auf Button gutmachen musste, wenn er das Rennen gewinnen wollte.
Nun auf nassem Asphalt, setzte sich das Paket Michael/Ferrari/Bridgestone souverän durch: Innerhalb von 15 Runden kämpfte er sich auf Platz eins vor. Wenig später explodierte Buttons Motor spektakulär. Zu diesem Zeitpunkt war die Rennstrecke bereits wieder soweit abgetrocknet, dass der Wechsel auf Trockenreifen möglich war.
Spitzenreiter Michael fuhr seinen Stint jedoch planmäßig zu Ende. Die heißlaufenden Intermediates kühlte er immer wieder auf den feuchten Flecken neben der Ideallinie ab. Erst nach 49 Runden – nun führte er vor dem Sauber-Duo Frentzen/Heidfeld – legte er seinen letzten Stopp ein. Für eine Runde übernahm Frentzen die Führung, dann musste auch er, wie wenig später Heidfeld, an die Boxen.
Michael war zu dieser Zeit voll auf WM-Kurs. Doch während der letzten 22 Runden eroberte Raikkonen noch Platz zwei. Die WM-Entscheidung war auf Suzuka verschoben. Montoya war hingegen aus dem Kreis der Titelanwärter ausgeschieden.
„Ein großartiger und ein wichtiger Sieg! Auch der Rennausgang für meine Konkurrenten ist wichtig, was meine Position in der Weltmeisterschaft angeht. Jetzt bin ich so erleichtert. Das ist ein sehr emotioneller Tag für mich, einfach fantastisch. Es war alles drin keine großartige Performance im Qualifying, ein guter Start, dann war ich wieder im Rennen, bin im Regen mit den Slicks zurückgefallen, zum Schluss hat es wieder zu regnen begonnen. Hier in der entscheidenden Phase der Weltmeisterschaft zu gewinnen, bedeutet mir viel. Ich bin all den Jungs bei Ferrari dankbar, denn sie haben uns zu diesem Erfolg getragen. Ich bin sehr dankbar“, war Michael nach dem Rennen happy. „Aber ich weiß auch, dass noch alles möglich ist.“ Ein Punkt fehlte ihm noch auf dem Weg zum sechsten WM-Titel.

Ein Spaziergang war das Rennen in Suzuka dann keineswegs. Michael ging von Startplatz 14 aus ins Rennen, nachdem er im Qualifying vom Regen überrascht wurde. Der McLaren-Pilot hatte mehr Glück, er stand auf acht. Der Finne beendete das Rennen als Zweiter, während Michael – der in Runde sechs eine neue Nase holen musste und in Runde 41 nach einer Vollbremsung mit Bremsplatten zu kämpfen hatte – als Achter die gewürfelte Flagge sah. Mit zwei Pünktchen Vorsprung wurde er der erste sechsfache Weltmeister in der Geschichte der Formel 1.
„Mir fehlen im Moment ein bisschen die Worte, denn das war ein schwieriges Jahr, ein schwieriger letzter Saisonabschnitt und das Rennen heute war eines meiner härtesten", stammelte der alte und neue Weltmeister. „Man hat uns am Anfang des Jahres schon abgeschrieben, aber wir haben nicht aufgegeben. Das Team kämpft immer und das ist seine größte Stärke." Ferrari bezeichnete Michael in der Euphorie als "große Familie", weshalb er sich bei jedem Mechaniker einzeln mit einer Umarmung bedankte, obwohl er sich unmittelbar nachdem Fallen der Zielflagge "leer und ausgelaugt" fühlte: „Es ist irgendwie eigenartig, denn sonst habe ich den Titel meistens mit einem Sieg gewonnen, aber heute wurde ich nur Achter. Meine Gefühle sind gemischt", so Michael. „Nachdem ich meine Nase verloren hatte, attackierte ich voll, denn ich wusste von Montoyas Führung und dass die McLarens hinter Rubens waren. Nach der Kollision ging alles ein wenig drunter und drüber und es war ein komisches Rennen, als ich mich durch den Verkehr kämpfen musste speziell gegen da Matta und Ralf. Ich wusste, dass ich Achter werden muss, denn in der Formel 1 passieren die unglaublichsten Dinge und obwohl Rubens in Führung lag, hatte ich das schlimmste Szenario vor Augen.“ In den ersten Interviews erklärte er außerdem, dass er ungemein angespannt war ganz im Gegensatz zu den Vortagen: „Nach dem Unfall mit da Matta hatte ich einen riesigen Bremsfleck auf meinem Reifen und dadurch wurden die Vibrationen so stark, dass ich entlang der Geraden sogar Probleme mit der Sicht hatte. Außerdem machte ich mir Sorgen über einen Reifenschaden und ich wollte das Auto nur noch ins Ziel tragen."
Es folgte eine irre WM-Party bei der so einiges zu bruch ging und sich der ganze Druck der Saison, all die dramatischen Ereignisse, noch einmal wiederspiegelten. Fotos davon gingen noch Wochen später um die Welt: Darauf zu sehen Michael mit seligem, wenn auch leicht glasigem Blick, mit offenem Hemd des Formel-1-Kollegen Oliver Panis, eine dicke Zigarre im Mund, wie er mit einem Gabelstapler durch das Fahrerlager kurvt. Wie ein Unruhegeist polterte Michael gemeinsam mit Corinna, alten und neuen Freunden durch diese Nacht, zog vom Fahrerlager über das offizielle Ferrari-Festtags-Dinner in den Hotel-Park mit den Karaoke-Hütten, nie nachlassend, vor Energie berstend, wie aufgezogen. Als würde die innere Anspannung ihn noch immer nicht loslassen. Die Nacht wurde lang…

Quellen: FIA Saison Review  2003. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006. Sabine Kehm "Michael Schumacher", 2006.

10. Rennen der Saison '04

Der Große Preis von Frankreich in Magny-Cours

4. Juli 2004

Nach Saisonschluss 2003 konnte sich kaum jemand vorstellen, dass das rote F1 Märchen ein weiteres Jahr anhalten würde. Zum anderen machte Williams-BMW während der Testfahrten mit dem neuen FW26 wiedeholt durch schnelle Rundenzeiten und pannenfreie Auftritte auf sich aufmerksam. Selbst in Maranello herrschte Skepsis. Nach dem Doppelsieg von Melbourne waren aber alle Zweifel wie weggeblasen. Von da an regierte (fast) nur noch die Farbe Rot und da insbesondere Michael. Gnadenlos fuhr er alles in Grund und Boden. Acht Siege aus neun Rennen konnte er bis zur Saisonhalbzeit sein eigen nennen. Am neunten Sieg scheiterte er in Monaco an der Tunnelwand, als das Safety-Car eigentlich das Feld sicher um den Kurs leiten sollte. Michaels Helm musste daraufhin in der Ferrari Box dran glauben – denn den hatte er aus Ärger über Montoya gegen die Wand geworfen.
Fuhr man mal nicht alles in Grund und Boden packte man einfach eine bessere Strategie aus und gewann trotzdem. So geschehen in Kanada – als man in der Qualifikation bluffte – oder in Frankreich als man sich etwas ganz besonderes hatte einfallen lassen…

Nach dem Rennen in Indianapolis war man zurück auf europäischem Boden. Wie angekündigt brachten McLaren und Williams überarbeitete Boliden mit nach Magny-Cours.
Einen Tag vor Trainingsbeginn wurde allerdings nicht über Kohlefaser, Kevlar und Abtriebswerte diskutiert. Max Mosley, seines Zeichens Präsident der FIA, ließ aus Paris wissen, dass er sich im Oktober von seinem Amt zurückziehen wolle.
Michael hatte hingegen andere Sorgen. Und die galten seinem Bruder Ralf. Erst vor wenigen Tagen wurden die Haarrisse
  in den beiden Brustwirbeln entdeckt die er sich bei seinem Unfall in Indianapolis zugezogen hatte. „Ralf“, erklärte der Champion im Ferrari-Motorhome, „hat eine gute Moral, aber das Untersuchungsergebnis hat ihn doch ein wenig geschockt. Jetzt hat natürlich die Therapie Vorrang. Ralf muss sich Zeit nehmen. Er ist ein schneller Pilot und braucht nichts zu beweisen. Es gibt keinen Grund, früher wieder ins Auto zu steigen als unbedingt notwendig. Für diesen Job muss man 100-prozentig fit sein.“
Traditionell zog Renault beim Heim-GP der blauen Equipe alle Register. Auch in diesem Jahr kaufte der Staatskonzern die Tickets kompletter Tribünen auf, um sie an Mitarbeiter, Kunden und andere Geschäftspartner zu verschenken. Tatsächlich rechneten sich die Blauen aus Enstone beziehungsweise Viry-Chatillon gute Chancen aus, das Rennen am Sonntag für sich entscheiden zu können.
Am Freitag, 13 Minuten war die erste Trainingssitzung alt, begann es zu regnen. Zwar ließen sich alle 25 Akteure auf der Piste sehen, doch aufgrund der ungünstigen Witterungsbedingungen verzichteten Massa, Alonso, Fisichella, Coulthard, Montoya, Raikkonen und Webber darauf, auch nur eine gezeitete Runde zu drehen. Ganz oben in der Zeitenliste standen die Namen Barrichello und Michael – das Duo erwischte allerdings noch den trockenen Asphalt, was einen Vergleich mit der Konkurrenz unmöglich machte. Während der zweiten 60 Minuten nahm das Geschehen dann seinen normalen Lauf. Die Bestzeit sicherte sich der Brasilianer Cristiano da Matta – Michael wurde Fünfter.
Auch wieder mit von der Partie war Michaels Physiotherapeut Balbir Singh, der weder in Montreal noch in Indy mit von der Partie war. „Es war ein wirklich komisches Gefühl, diese beiden Rennen am Fernseher zu verfolgen“, gestand der Inder, „denn seit Michaels Beinbruchpause im Jahr 1999 habe ich keinen Grand Prix ausgelassen. Auf dem Bildschirm sah ich all die bekannten Gesichter. Es war wirklich merkwürdig – wenn ich einen Knopf hätte drücken können, um mich ins Fahrerlager zu transportieren, ich hätte ihn gedrückt.“

Weder das dritte noch das vierte freie Training ließen ernsthafte Rückschlüsse zu, was den Ausgang des Qualifying betraf. Nach dem Kampf um die besten Startplätze war für Renault die Welt noch in Ordnung: Fernando Alonso stand auf der Pole. Dahinter komplettierten Michael, Coulthard, Button, Trulli, Montoya, Sato, Gene, Raikkonen und Barrichello die Top-Ten. Gerade einmal 0,780 Sekunden trennten die Piloten der ersten fünf Startreihen. Die Startaufstellung hatte wegen der unterschiedlichen Tankfüllung allerdings nur eine geringe Aussagekraft über das wahre Kräfteverhältnis.

Seitdem das Warm-up aus dem Programm gestrichen wurde, waren die langen Stunden vor dem Start die ideale Zeit, um zu fachsimpeln und nach den News zu jagen, die den Journalisten nicht freiwillig von den PR-Spezialisten der Teams auf die Nase gebunden wurden. So verriet eine undichte Stelle, auf dem Strategie-Papier der Scuderia habe auch die Möglichkeit einer Vierstopp-Variante gestanden. Die Nummer klang gewagt, aber tatsächlich hatte einer der Ferrari-Ingenieure bereits im Februar auf die Frage nach den für 2004 möglichen Strategien geantwortet: „Wo bisher einmal gestoppt wurde, wird es zwei Stopps geben, wo es bereits zwei waren, wird es einen dritten gebe. Theoretisch sind sogar vier Stopps vorstellbar – aber wenn überhaupt, dann nur in Magny-Cours.“
Am Renntag erwies sich der R24 des Spaniers Fernando Alonsos als pfeilschnell. Startnummer acht ließ sich beim Start von niemandem die Butter vom Brot nehmen und nutzte die beste Ausgangsposition optimal. Michael heftete sich direkt an die Fersen des Pole-Setters, während DC den Start verpennt hatte und erst hinter Trulli und Button als Fünfter Fuß fasste.
Während der ersten zehn Umläufe versuchte der Spitzenreiter vergeblich die Flucht nach vorn. Er drehte zwar unmittelbar hintereinander sechs Mal die jeweils schnellste Rennrunde, doch der Ferrari von Michael wollte im Rückspiegel des Renault nicht kleiner werden. Andererseits hatte Michael keine Chance, den Spanier zu überholen, obwohl er – mit weniger als einer Sekunde Rückstand – durchaus in Schlagdistanz lag.
Elf Runden waren gefahren da bog der Champion bereits zu seinem ersten Stopp in die Boxengasse ab und überließ damit dem Renault-Duo, das durch 6,4 Sekunden getrennt war – die Doppelführung. Anschließend wurde das Feld kurz durcheinander gewirbelt, und als die erste Boxenstopp-Serie vorüber war, war auf den ersten fünf Plätzen die alte Reihenfolge wieder hergestellt.
Michael folgte Alonso weiter wie ein Schatten und ließ sich nicht abschütteln. In Runde 29 kam er erneut zum Boxenstopp. Danach gab er Gas und fuhr frisch betankt und mit neuen Reifen zwei Mal die schnellste Rennrunde - inklusive Streckenrekord. Und als Alonso in Runde 32 dann mit seinem Boxenstopp fertig war übernahm Michael erstmals die Führung in diesem Rennen.
War der Abstand zwischen Alonso und Michael vorher nie viel größer als eine Sekunde gewesen, so wuchs er nun in umgekehrter Reihenfolge mit jeder Runde immer um ein paar Zehntel mehr an.
Schon in Runde 42 besuchte Michael erneut seine Boxencrew – 6,4 Sekunden Standzeit. Das Erstaunen war groß, sollte es tatsächlich das erste Mal in der Geschichte der Formel 1 einen geplanten vierten Boxenstopp geben? Ja, denn der Boxenstopp von Michael war viel zu kurz um noch 28 Runden mit dem Tankinhalt zu Ende fahren zu können.
Nachdem Alonso in Runde 46 bei seinem dritten und letzten Service war, hieß es für Michael nur noch Gas geben um den nötigen Vorsprung für seinen letzten und vierten Boxenstopp herauszufahren.
Trotz des doch eher ereignislosen Grand Prix - 18 der 20 gestarteten Piloten kamen ins Ziel und auf der Strecke tat sich praktisch nichts – wurde es zu einem denkwürdigen Wochenende. Denn Michael legte tatsächlich vier Stopps ein. Am Ende der 57. Runde hatte Michael einen Vorsprung von 21,790 Sekunden herausgefahren und kam erneut an seine Box. Als er wieder auf die Strecke ging hatte er immer noch einen Vorsprung von etwas über 7 Sekunden auf Alonso.
Diese ungewöhnliche Strategie erwies sich als Schlüssel zum neunten Saison Sieg im zehnten WM-Lauf der Saison. Im Ziel hatte Michael immer noch satte 8,3 Sekunden Vorsprung vor dem Spanier, der damit klar ein Opfer der roten Strategen wurde. Ross Brawn erklärte: „Wir hatten ja nichts zu verlieren. Platz zwei war sicher, Platz eins war möglich. Unsere einzige Chance war es, Michael von dem Renault zu lösen, da der Ferrari seine Stärken im Windschatten nicht ausspielen konnte. Vor dem Start ließen wir uns beide Türen - drei oder vier Stopps - offen. Erst nach dem zweiten Boxenstopp legten wir uns endgültig fest.“ Also ein weiterer Geniestreich von Ross Brawn? Nein, denn dieser gab die Lorbeeren weiter an Luca Baldisserri – Michaels Renningenieur - der auf die Idee gekommen war.
Michael war natürlich absolut happy, wollte aber nicht so weit gehen zu behaupten, er hätte den Erfolg alleine der Vierer-Strategie zu verdanken. „Vielleicht hätte es auch mit drei Boxenstopps geklappt, aber dann hätte ich mir Alonso auf der Piste schnappen müssen, was sicherlich recht schwierig gewesen wäre. Mein Vorteil waren jedenfalls die Bridgestone Reifen, die jeweils zum Ende der Stints extrem gut waren.“
Und weil Rubens Barrichello auf den letzten Metern mit einer Attacke noch Trulli überraschen und überholen konnte gab es für Ferrari sogar noch einen Pokal mehr.
Auf dem Weg zu seinem siebten WM-Titel ließ sich Michael dank seiner seit 1991 gesammelten Erfahrung so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Als dann aber nach der Siegerehrung gefragt wurde, ob er den Sieg seinem Bruder widme, war der Ferrari-Star für Sekundenbruchteile irritiert. Dann antwortete er: „Nö, so schlecht geht es Ralf ja nun auch nicht.“

Für Michael wurde der weitere Saisonverlauf zu einem nicht enden wollenden Traum in Rot. Doch ausgerechnet in Spa, wo er seinen siebten Weltmeister Titel schon einfahren konnte, riss seine Siegesserie. „Meine Freude kann ich noch gar nicht richtig ausdrücken, das braucht seine Zeit. Es war ein wunderschöner Tag, den wollen wir nun feiern und genießen. Natürlich hätte ich gerne den Titel mit einem Sieg geholt. Aber wird waren im entscheidenden Moment nicht gut genug. So ist das Leben. Ich habe in diesem Jahr so viele Rennen gewonnen, da war es klar, dass irgendwann mal jemand anderes gewinnt. Das ist heute passiert. Ich bin auch so zufrieden mit dem, was wir erreicht haben."
Immer wieder Spa: Sein erstes Rennen, sein erster Sieg und nun sein siebter Titel. „Es ist irgendwas Spezielles, das mich mit Spa verbindet. Dafür gibt es viele Gründe - und heute einen neuen. Hier die Meisterschaft zu entscheiden bei unserem 700. Grand Prix, das ist etwas ganz, ganz Besonderes. Ich möchte allen danken, die mich bis hier begleitet und unterstützt haben. Ich bin sehr stolz darauf, diese Erfolge mit diesem Team gefeiert zu haben, das einfach außergewöhnlich ist. Das ist es, was diese Empfindungen so stark macht. Es ist ein fantastischer Moment."

Quellen: FIA Saison Review  2004. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.

4. Rennen der Saison '05

Der Große Preis von San Marino in Imola

24. April 2005

Das Team aus Maranello entschied sich für die ersten Rennen mit dem Vorjahrsmodell anzutreten. Nach desaströsen Leistungen in den ersten beiden Läufen beschlossen die Roten dann allerdings eher als geplant den neuen F2005 einzusetzen. Doch nur selten fand die Scuderia mit den Bridgestone Reifen die optimale Balance zwischen Performance und Beständigkeit, sodass der Ferrari mitsamt Michael und Barrichello den Michelin bereiften WM Konkurrenten von Renault und McLaren, im Verlauf der Saison unterlegen war.
Die Saison begann mit einem lausigen Start in Australien. Michael, der sich nach einsetzendem Regen auf seiner einzigen schnellen Runde - bedingt durch das neue Qualifyingformat - auf Platz 18 qualifizierte, kollidierte im Rennen in der 42. Runde mit Nick Heidfeld, beide Fahrer schossen ins Kiesbett, im Gegensatz zu Heidfeld konnte Michael sich befreien, trotzdessen war er gezwungen den Wagen in der Garage zu parken.
In Malaysia reihte sich Michael hinter seinem Teamkollegen Barrichello der von Position 12 aus ins Rennen ging ein. In der Hitzeschlacht von Sepang lieferte er sich ein sehenswertes Duell mit den beiden BMW Piloten Mark Webber und Nick Heidfeld, am Ende reichte es jedoch nur für Platz 7. Im folgenden Rennen in Bahrain schied Michael im neuen F2005 mit einem Hydraulik Defekt aus. Folglich reiste Michael mit mageren zwei WM-Pünktchen aus Malaysia in Imola an.

Die ersten freien Trainings fanden bei einem angenehm sonnigen norditalienischen Frühlingswetter statt, welches den Fahrern die bestmöglichen Testbedingungen bot. Erste Anzeichen eines Aufwärtstrends bei Ferrari waren zu erkennen. Michael beendet das erste freie Training als Vierter und das zweite als Sechster. Beide Male führte Pedro de la Rosa die Zeitenwertung an, er fuhr in seinen Läufen jedoch mit relativ leerem Tank.
Im Vorlauf zum Qualifying setzte sich Michael mit 1,5 Sekunden gegen seinen Teamkollegen Barrichello und Sauber Pilot Felipe Massa durch, auch wenn diese Zeit in Anbetracht der Tatsache, dass auf der Strecke infolge der niedrigen Temperaturen nicht viel gefahren wurde und er mit leerem Tank und frischen Pneus unterwegs, nicht sehr aussagekräftig war.
Nicht nur nach außen hin, war eine Steigerung des Ferrari's zu vernehmen, auch die Fahrer zeigten sich nach den Sessions zufrieden. Michael gab sich zurückhaltend optimistisch. „Verglichen mit den anderen sehen wir konkurrenzfähig aus, was ein gutes Zeichen für den Rest des Wochenendes ist", so Michael. "Das Auto scheint in den meisten Bereichen stark zu sein und der heutige Tag verlief gut. Mit dem Handling bin ich zufrieden, ich hatte von Anfang an ein gut ausbalanciertes Auto. So konnte ich auch viel Arbeit verrichten. Auf dieser Strecke ist es wichtig, ein Auto mit guten Bremsen zu haben, das gut über die Kerbs kommt, und der F2005 scheint diese Anforderungen zu erfüllen. Die Leistung von BAR-Honda war interessant, aber wir müssen noch erfahren, ob sie mit Rennabstimmung unterwegs waren oder ob sie wenig Benzin im Tank hatten. Ich denke, wir können für das Qualifying sowie das Rennen zuversichtlich sein."
Des Weiterem kam Michael die Anwesenheit seines Physiotherapeuten Balbir Singh zu Gute, dieser war zuvor aus privaten Gründen nicht zu den GP gereist. Doch in Imola konnte er wieder für das Wohlbefinden des 7- maligen Weltmeisters sorgen.

Nach seinem ersten Lauf im Qualifying landete Michael auf Platz 3 mit einem Rückstand von +0,374 Sec. auf den provisorischen Pole-Setter Kimi Raikkonen dem Fernando Alonso mit gerade mal +0.003 Sec. dicht auf den Fersen war.
Im zweiten Lauf am Sonntagmorgen, lief es plötzlich nicht mehr wie in den Sessions zuvor. Die Sektorenzeiten waren nur mäßig und in der Rivazza kam er von der Strecke ab. Er verlor dadurch 4 Sekunden. In der Addition lag Michael somit nur noch auf Rang 13. Die Hoffnungen auf ein Podium oder einen möglichen Sieg waren flöten gegangen, stattdessen musste sich das Team neu orientieren und auf eine Punkteplatzierung hoffen. „Meine Runde sah ganz gut aus, bis ich zu weit nach außen abgetragen wurde und in das Kiesbett ausweichen musste", erklärte Michael. „Das hat klarerweise Zeit gekostet und danach waren auch noch meine Reifen schmutzig. Definitiv kein guter Beginn des Renntags, aber wir werden sehen, ob wir noch in die Punkte fahren können."

Souverän startete Kimi Raikkonen von der Pole und setzte sich innerhalb weniger Runden deutlich von seinen Konkurrenten ab bis ihn sein Getriebe in Runde neun im Stich ließ. Michael erwischte ebenfalls einen guten Start und zeigte sich kämpferisch, trotzdem fand er sich erst mal nur auf Platz 11, hinter seinem Bruder Ralf, wieder. Ralf setzte in der 21. Runde zum Tankstopp an. Michael konnte voll aufdrehen, doch er fand sich schnell hinter dem im Vergleich zum stürmenden Michael schleichenden Trulli wieder.
Er spulte fünf Runden mehr in seinem Stint ab, Runde um Runde unterbot er, die von ihm aufgestellten schnellsten Rundenzeiten und setzte sich mithilfe der Taktik gegen den Italiener durch. 27 Runden fuhr Michael in seinem ersten Stint, umso erstaunlicher seine Zeit im Samstags Qualifying und ärgerlicher der Fehler im zweiten Teil, wie er später reflektierend zu erkennen gab: „Auf der einen Seite bin ich natürlich zufrieden, aber es ärgert mich schon ein bisschen, wenn man bedenkt, was ohne das Missgeschick im Qualifying hätte sein können."
Nun kehrte er als Drittplatzierter vor Alexander Wurz auf die Strecke zurück, vor ihm Jenson Button mit einem Vorsprung von knapp 20 Sekunden. Innerhalb von 13 Runde eliminierte er diesen Rückstand. Unterdessen hatte Alonso getankt, für Michael stand der zweite Stopp noch an, vorerst musste er sich aber mit Button beschäftigten.
Fünf Runden folgte er Button. Als sie auf der Anfahrt in die Variante Alta auf den zu überrundenden Nick Heidfeld aufliefen, nahm Button zu früh das Tempo raus. Michael nutzte die Chance eiskalt und zeigte sein bis dato stärkstes Manöver der Saison.
Dreizehn Runden vor Schluss trat Michael seinen letzten Stopp an - 6.1 Sekunden dauerte der Stopp - da passierte Alonso den amtierenden Weltmeister und übernahm wieder die Führung. Den Rückstand von 3 Sekunden nach seinem Stopp machte Michael innerhalb von 1 ½ Runden wett. Jetzt musste er nur noch eine Möglichkeit finden um Alonso – im kränkelnden Renault - zu überholen.
Elf Runden klebte er am Heck des vor ihm fahrenden Alonso’s - die Abstände waren im Zehntel Bereich. Angriffe blieben jedoch auf Grund der Streckencharakteristik eine Seltenheit und wenn sich ihm eine Chance bot, parierte Alonso den Angriff. Nur 0.215 Sekunden vor Michael überquerte Alonso die Ziellinie. Es war ein entzückendes und eines der fesselnsten Duelle der letzten 10 Jahre, dass die Zuschauer Vorort und vor den Fernsehern beobachten konnten. „Ich bin nach so einem Rennen irgendwie happy und aufgeregt, aber andererseits bin ich auch enttäuscht, dass ich heute Morgen beim Anbremsen auf einer Bodenwelle mit viel Benzin die Kontrolle verloren habe", erklärte der siebenfache Weltmeister. „Sonst wäre das ein perfekter Tag für uns geworden. Dank der großartigen Bemühungen von allen - den Ingenieuren, dem Testteam, Loca Badoer, Marc Gené und all den anderen, die so hart gearbeitet haben, damit wir schneller werden - bin ich Zweiter geworden. Ein großer Dank auch an Bridgestone. Das war heute der erste Schritt, aber da wird noch mehr kommen. Wir selbst werden auch noch nachlegen, denn wir sind noch nicht aus dem Rennen."
Auf die Frage, wie seine Chance auf einen weiteren Titel stehen, ließ er sich nach dem zweiten Platz nicht zu einer überschwängliche Prognose verleiten: „Das war sicher ein großer Schritt in die richtige Richtung, weitere werden folgen. Ich denke nur von Rennen zu Rennen, alles andere wird man sehen."
Nach dem Rennen in Imola hagelte es seitens der anderen Teams Kritik, die Scuderia hatte die vor der Saison beschlossenen Vereinbarungen bezüglich der Testzeiten nicht eingehalten und sich dadurch nach Meinung einiger Fahrer und Teamchefs einen unfairen Vorteil verschafft. Der Vorteil war dermaßen ausschlaggebend, dass Michael in den folgenden 15 Rennen, ganze drei weitere Podestplätze und einen Sieg im Skandal Rennen von Indianapolis – lediglich die sechs Bridgestone bereiften Rennwagen von Ferrari, Jordan und Minardi starteten, da der Michelin Reifen auf der Highspeed Strecke den Belastungen nicht standhalten konnte - feiern konnte und er zur Saisonmitte seine WM-Hoffnungen begraben musste.
Die Saison beendete Michael mit 62 Punkten auf Platz 3 hinter Kimi Raikkonen (112 Punkte) und dem neuen Weltmeister Fernando Alonso (133 Punkte).
Für die kommende Saison gab sich Michael angriffslustig. „Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass ich das von meiner Seite her nicht schaffen könnte, aber wir sind nun mal von unserem Material abhängig", erklärte er gegenüber'RTL'. „Die fünf Jahre davor bin ich deswegen alle in Grund und Bodengefahren. Die anderen waren gewillt und motiviert, die Situation zu ändern – und das haben sie geschafft. Aber wir sind jetzt genauso gewillt und motiviert."

By K. S. T.
 

Quelle: FIA Saison Review  2005.

16. Rennen der Saison '06

Der Große Preis von China auf dem Shanghai International Circuit

1. Oktober 2006

Nachdem Michael 2005 bei der Titelvergabe als abgeschlagener WM-Dritter nicht über eine Zuschauerrolle hinausgekommen war, wollte er es in seinem vermeintlich letzten Rennjahr noch einmal wissen.
Waren die ersten Rennen noch recht unbefriedigend so konnte Michael im Verlaufe der weiteren Saison doch noch einige Glanzpunkte setzen und eine schon fast entschiedene Weltmeisterschaft noch einmal kurz zu seinen Gunsten umdrehen. Er gewann alle seine Heim-GP, sowohl die in Italien als auch die in Deutschland. Außerdem siegte er noch in Indianapolis und zum achten Mal in seiner Karriere in Magny-Cours.
Bei noch drei ausstehenden WM-Läufen war die Spannungskurve des Championats durch Michaels Sieg in Monza und dem gleichzeitigen Ausfall des Rivalen Alonsos steil angestiegen. Nur noch zwei Pünktchen trennte das Duo. 6:6 stand es nach Anzahl der Siege. Mathematisch hatte der Spanier die bessere Ausgangsposition. Psychologisch hatte dessen Jäger die Nase vorn, denn wenn man einen 25-Punkte Rückstand auf zwei Zähler verringert hatte, dann schien der letzte Schritt zur Übernahme der Führung einfach zu sein, während der Atem des Verfolgers dem Gehetzten langsam den Nachtschlaf zu rauben begann.
Michael hatte sein großes Ziel, den achten WM-Titel zum Abschluss der einmaligen Karriere, seit Monza zum Greifen nahe vor Augen. Das beflügelte und stärkte die Moral.

Bereits zum dritten Mal stand das F1-Rennen im Reich der Mitte im GP-Terminkalender. Schlagfertig reagierte Michael auf den Hinweis auf seine bisher eher dürftige China-Bilanz, die einen 14. Platz sowie einen Ausfall aufwies: „Da sollte es mir ja eigentlich nicht schwer fallen, mich zu steigern.“ Dann wurde er genauer: „Zwischen Renault und Ferrari geht es denkbar knapp zu, und daran wird sich bis zum Saisonende nichts mehr ändern. Letztlich geht es um Nuancen. Abgesehen von technischen Defekten wird es ausschlaggebend sein, ob die Reifen am Renntag optimal mitspielen. Das gilt für Fernando und für mich bei allen drei ausstehenden Rennen.“ Abschließend räumte er ein, dass er froh sein würde, wenn er China am Montag mit einem guten Ergebnis verlassen könnte. Die beiden folgenden WM-Läufe des Restprogramms seien ihm aufgrund des Charakters der Piste deutlich lieber als das Rennen auf dem Circuit von Shanghai.

Kaum waren die ersten beiden Trainingssitzungen vorüber, da sickerte aus dem Ferrari-Lager durch, dass in Massas Auto der Motor gewechselt werden muss. Entsprechend lang waren die Gesichter der Roten – auf Unterstützung durch den Brasilianer würde Michael am Sonntag verzichten müssen.

In der Nacht auf Samstag regnete es sich in Shanghai und Umgebung ein. Morgens um 06:00 Uhr war es windstill, und der Himmel präsentierte sich grau in grau, als wollten die Niederschläge niemals aufhören. Das taten sie dann aber überraschend bereits 120 Minuten später. Doch bei einer Luftfeuchtigkeit von satten 84 Prozent trocknete der Asphalt bis zum dritten freien Training nicht ab. Während dieser Sitzung – die Nässe hatte sich inzwischen derart verflüchtigt, dass die Zeiten nur circa fünf Sekunden über den Vortageswerten lagen – probten Michael und Alonso den Ernstfall. Die beiden Titelaspiranten sicherten sich die Plätze eins und zwei, wobei der Ferrari-Pilot die Nase vorne hatte. Knapp zwei Zehntelsekunden trennten die beiden.
Das Chinesische Publikum war eindeutig auf Seiten Michaels und machte dies nicht nur durch Jubel und Applaus, sondern auch durch Transparente mit Aufschriften wie „Schumi, ich liebe dich, wirklich nur dich“, „Schumi, danke für die 16 Jahre“ oder „Schumi wenn du wirklich gehst, dann werde ich mir die F1 nicht länger anschauen“ deutlich. Das spiegelte die jüngste weltweite FIA-Umfrage unter F1-Fans wieder, die Michael in der Publikumsgunst mit 28 Prozent Zustimmung ganz oben sah. Fernando Alonso belegte laut dieser Studie hinter Kimi Raikkonen und Jenson Button mit sieben Prozent nur den vierten Rang.
40 Minuten vor Beginn des Qualifyings fing es erneut an zu regnen. Damit, das hatte der nasse Auftakt des dritten Trainings bewiesen, hatten die Bridgestone-Kunden schlechte Karten. Diese Theorie wurde in der Praxis unmissverständlich untermauert.
Nur einem der Bridgestone-Fahrer gelang der Sprung in Q3, und dieser eine war „natürlich“ Michael. Damit hatte er den Hauch einer Chance auf einen halbwegs guten Startplatz wahren können, die er mit Platz sechs hinter Alonso, Fisichella, dem auf die Tausendstellsekunde gleich schnellen Honda-Pärchen Barrichello und Button sowie Raikkonen tatsächlich nutzen konnte.
Nach dem Qualifying war Michael so kurz angebunden wie selten. Einsilbig und lustlos versuchte er sich bei den Fragen aus der Affäre zu ziehen. Die schlechte Laune war verständlich, denn nun sprach alles für einen Alonso-Sieg und damit für eine Verschlechterung der Ausgangslage im Titel-Duell.
Bei Renault war man sich des Sieges am Sonntag schon recht sicher. Renaults Rod Nelson funkte nach dem Qualifying an seinen Fahrer Alonso, dass der "arme alte Michael" auf dem sechsten Platz steht, und auch in der Box des Teams ging man neben den verbalen Worten in Richtung Ferrari und Michael voll auf das Psychoduell los. Eine Fotomontage zeigte dort ein Motiv aus dem Piratenfilm "Fluch der Karibik". Jack Sparrow alias Johnny Depp stand mit dem Rücken zu Michael. Daneben stand geschrieben: "Man bringt kein Messer zu einer Schießerei, Michael..."

Noch durfte man bei Bridgestone auf eine Verbesserung der Bedingungen hoffen, doch als es sonntags kurz vor neun Uhr erneut zu regnen begann, stürzten – wie schon vor dem Qualifying – die Aktien derjenigen Piloten, die mit den japanischen Gummis unterwegs waren, in den Keller. Das Wetter schien bei der Titelvergabe ein Wörtchen mitreden zu wollen.
Souverän zogen die beiden – nun haushoch favorisierten – Renault davon, als die fünf roten Ampellichter erloschen. Zwar hatte es inzwischen wieder aufgehört zu regnen und die Boliden aller Akteure standen auf Intermediates, aber die letzten Schauer sorgten noch einmal reichlich für Nachschub. Es sollte bis in die Schlussphasen dauern, bevor es ein Vorteil war, Trockenreifen montieren zu lassen.
Abgesehen von einer Rangelei zwischen Kubica und Doornbos, die zwei Verlierer hatte, verlief die erste Runde problemlos. Vorn konnte sich Alonso bereits im Verlauf der ersten 5,4 Kilometer mit 2,6 Sekunden von Fisichella absetzen. Und als der Spanier nach nur zehn Runden 11,5 Sekunden vor seinem italienischen Teamkollegen lag, berechtigte dieser beachtliche Vorsprung zu der Überlegung, Fisico fahre nicht voll, um Alonso den Rücken frei zu halten. Auf Rang drei folgte Raikkonen ungeduldig drängelnd. Dahinter klaffte je eine Fünf-Sekunden-Lücke zu Button und zu Michael, der – vorbei an Barrichello – immerhin schon einen Platz gutgemacht hatte. Nützen, so schien es, würde ihm das nicht viel, denn auf Alonso fehlten ihm inzwischen über 22 Sekunden…
Runde 13 brachte auf den vorderen Rängen gleich zwei Platzverschiebungen: Raikkonen überholte Fisichella, und Michael konnte sich nach Barrichello nun auch den zweiten Honda schnappen. Alonso, Raikkonen, Fisichella, Michael, Button und Barrichello – dahinter komplementierten de la Rosa und Heidfeld die Punkteränge. Michaels Rückstand auf den spanischen Spitzenreiter war inzwischen auf 25 Sekunden angewachsen. Die Weichen für dessen ersten F1-Sieg seit dem Kanada GP schienen gestellt.
Das Bild änderte sich erneut, als sich der finnische Silberpfeil-Pilot mit grausam tönendem Achtzylinder verabschiedete – Gaspedal und Motor harmonierten nicht mehr im Sinne des Konstruktionsplans.
Michael hatte unmittelbar zuvor getankt, die angefahrenen Bridgestones bei dieser Gelegenheit allerdings nicht wechseln lassen, als Alonso zum Ende des 22. Umlaufs ebenfalls Service machen ließ. Weil er sich Sorgen um den linken Vorderreifen machte, ließ er sich vorn zwei neue Pneus montieren. Mit dieser Entscheidung – das zeigte die nächste Phase des Rennens – lag der Titelverteidiger voll daneben. Der so unterschiedlich bereifte R26 war kaum fahrbar. Immer näher kamen Fisichella, der beim ersten Stopp wie Michael dem ersten Reifensatz treu geblieben war, und der Ferrari-Star. Direkt hintereinander herfahrend machten sie Jagd auf Alonso. In der 30. Runde zog Fisico in Front, und einen Umlauf später konnte sich Alonso auch nicht mehr erfolgreich gegen Michael wehren. Gerade einmal 1,4 Sekunden trennten das neue blau-rote Führungs-Duo, das Fernando Alonso nun ohnmächtig ziehen lassen musste.
Die zweiten Stopps sollten über Sieg und Niederlage entscheiden. Inzwischen konnte man ernsthaft über den Einsatz von Trockenreifen nachdenken, und Alonso setzte diese Überlegung nach 35 Umläufen in die Tat um. Weil sich der rechte Hinterreifen nicht montieren lassen wollte, dauerte der Stopp 19,2 Sekunden. Und als sei dieser Zeitverlust nicht schlimm genug, stellte sich schnell heraus, dass es immer noch zu früh für Trockenreifen war. Alonso verlor weitere Sekunden.
So fiel die Entscheidung ohne den Spanier. Nach 40 Runden ließ Michael seinen Ferrari auf Trockenreifen stellen. Einen Umlauf später tat es ihm der Spitzenreiter Fisichella gleich. Aber der Italiener hatte sich, wie alle Michelin-Fahrer, für harte Gummis entscheiden müssen, und die benötigten einige Runden, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Knapp vor Michael kam der Renault zurück auf die Piste. Da witterte Michael seine Chance. Als würde er sich denken „Jetzt oder nie!“ stach er auf der Innenbahn mit den Beiden rechten Rädern im Abseits in Front und war damit auf die Siegerstraße eingebogen.
Die Freude bei Michael über diesen Sieg war riesengroß. Erstmals in dieser Saison hatte er die WM-Führung erobert, da er zwar nun mit Alonso, der von Fisichella noch vorbei gelassen wurde, Punktgleich war, jedoch einen Sieg mehr vorzuweisen hatte. „Diesen Erfolg werte ich als Überraschung. Beim Start dachte ich daran, dass es heute um nichts anderes als Schadensbegrenzung geht.“ Dann geriet er ins schwärmen: „Oh Mann, war das ein Wochenende. Freitags lief es ganz gut. Dann der Absturz – im Qualifying verpasste ich beinahe den Sprung in die Top-Ten. Mit Ach und Krach wurde ich Sechster und schaffte damit rückblickend die Voraussetzungen für den Sieg. Mit entscheidend war natürlich die Reifenstrategie, die ein wenig Glückspiel-Charakter hatte. Doch wir machten alles richtig – zunächst die Entscheidung, den ersten Reifensatz nicht zu wechseln, und dann holte ich zum idealen Zeitpunkt Trockenreifen.“ Während Michael einige der glücklichsten Minuten seiner Karriere genoss, hatte Alonso verständliche Schwierigkeiten das harte Brot der Niederlage zu kauen.

Das nächste Rennen, in Suzuka, brachte aber dann die Vorentscheidung im WM-Duell. Der Motor von Michaels 248 F1 ging in der 37. Runde hoch. Damit verlor er nicht nur den sicher geglaubten Sieg, sondern wohl auch den achten Titel. „Ich habe heute mein Bestes gegeben und lag in Führung, als der Motor hochging. Damit habe ich keine Chance mehr, den Fahrertitel zu holen. Ich möchte jedenfalls nicht in der Hoffnung nach Brasilien reisen, dass dort mein Rivale ausfällt. Auf diese Weise möchte ich nicht Champion werden.“

Quellen: FIA Saison Review  2006. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.

18. Rennen der Saison '06

Der Große Preis von Brasilien auf dem Autódromo José Carlos Pace in Interlagos

22. Oktober 2006

Der zum damaligen Zeitpunkt wohl letzte Grand Prix im Leben von Michael schien schon Vorbereitung auf die Zeit zu sein, in der Zeit zur Nebensache werden sollte. Denn er stand total im Zeichen des Abschieds. „Niemand redet mehr vom Sport“, bemerkte Michaels Manager Willi Weber treffend. Michael wollte es (vielleicht nicht ganz) so. Er hatte nach seinem Ausfall in Japan den Fahrer-Titel abgehakt. Und damit den Sport etwas in den Hintergrund gestellt. Er hatte sich den Druck vorab weggebremst. Klar er wollte mit einem Sieg und dem Konstrukteurstitel für Ferrari gehen. Seine Vorbereitung mit 221 Testrunden mit Streckenrekord in Jerez war ein sicherer Hinweis. Aber zuletzt wirkte er durchweg heiter, ja gelöst: „Befreit“, hatte er sogar gesagt. Denn auch der Rahmen für seinen 250. GP war ganz und gar nicht Schumi-typisch organisiert: Mit einer Abschiedsrede an die deutsche Presse; mit einem Helm - extra designt für diesen GP, mit einem Tross von 15 geladenen Freunden - der drei Tage lang an und in den Boxen (sogar während des Trainings) auftrat, der bangte, hoffte, lachte mit Corinna, mit Vater Rolf, mit seinem Ex-Physiotherapeuten Balbir Singh; mit Geschenken – die Michael an seine Mechaniker verteilte und die er selber bekam; mit einer offenbar anderen Arbeitsmoral - niemals zuvor hat man Michael schon samstags bereits um 17 Uhr ins Hotel abhauen sehen. Gut es gab Gründe. Jeden Abend kleine und größere Abschiedsfeiern natürlich. Von Ferraris Software-Partner AMD, von Hauptsponsor Philip Morris, von Mineralölpartner Shell. Er besuchte sogar Teamkollege und Freund Felipe Massa privat, ein gutes Stück außerhalb von Sao Paulo.
Lenkte ihn der Rummel nicht ab? „Nein, ich bin Profi. Wenn ich im Auto sitze, bestehe ich nur noch aus Konzentration. Abgesehen davon ist es doch angenehm, Freunde um sich zu haben. Und das fahren macht mir so viel Spaß wie eh und je.“ Tatsächlich war er keinen Hauch langsamer als sonst. Aber definitiv entspannter. Wann hatte man damals je einen Michael gesehen, der bei einem offiziellen Termin die DVAG-Kappe abgenommen hätte? Der samstags zur Hauptarbeitszeit mit seiner Frau Backgammon spielt? Der fast jeden Foto- und Autogrammwunsch erfüllt und vor positiver Energie sprühte? „Und das, obwohl ich in noch mehr Kamera-Objektive gucke als sonst immer.“
Zwischendurch leistete er sich sogar schon mal einen langen Blick zurück: „Ich war nicht immer glücklich in allen Situationen, habe aber einen Rhythmus gefunden. Was ich vermissen werde, sind die vielen Momente, die ich in 16 Jahren Formel 1 hatte. Vor allem die Fans, die mich immer unterstützt haben und mir geholfen haben Leistung zu bringen. Vor allem in Momenten, in denen es nicht so lief. Dafür kann ich nur ein riesiges Dankeschön sagen, auch wenn ich denen damit bei weitem nicht gerecht werde. Jetzt habe ich die Kraft nicht mehr. Es ist nicht nur das Fahren. Die Termine, der mentale Druck, die physischen Anstrengungen, das Testen, das alles erfordert ein Maximum an Motivation, um auf Top-Niveau zu agieren.“

Was die sportliche Seite des Wochenendes anging griffen Michael und Alonso erst im Verlauf der zweiten 60 Trainingsminuten in das Geschehen ein und begnügten sich zunächst mit den Rängen sechs und zehn. Michael bedankte sich anschließend ausdrücklich bei BMW, weil das Team mit der Heckflügelaufschrift „Danke Michael“ unterwegs war, dann erklärte er: „Natürlich bin ich mir voll bewusst, dass dies mein letzter F1 Freitag ist, aber wenn ich im Auto sitze und das Helmvisier runterklappe, dann fühlt sich alles unverändert an. Im Cockpit ist man sosehr auf die Arbeit konzentriert, dass Gedanken dieser Art gar nicht erst aufkommen.“

Am Vormittag des zweiten Trainingstages wurde deutlich, dass die beiden Ferrari-Piloten eine Klasse für sich darstellten. Überlegen führte das Duo die Rangliste des dritten Trainings an. Der für Michael so wichtige Sieg rückte damit in greifbare Nähe.
Bei Asphalt Temperaturen von 36°C nahm das Qualifying zunächst einen unauffälligen Verlauf: Je zwei Spyker und Super Aguri sowie DC und Speed wurden in Q1 aussortiert. Der zweite Durchgang forderte mit Jenson Button, der seinen Honda morgens noch auf Platz drei stellte, ein unerwartetes prominentes Opfer. Den Briten traf jedoch keinerlei Schuld, denn sein RA106 war aufgrund eines Elektronik-Problems, das die Traktionskontrolle lahmlegte, nicht konkurrenzfähig. Auch Nico Rosberg war „out“.
Doch kaum nahmen die Boliden Q3 in Angriff, da hatten die verantwortlichen der Ferrari-Crew Schweißperlen auf der Stirn: Michael bewegte sich in Schleichfahrt, und an der Box wusste man, weshalb – der Benzindruck war nahezu komplett zusammengebrochen… So wurde Michaels Out-Lap zur In-Lap und der 248 F1 verschwand in den Boxen, die er bis zum Ende der Sitzung nicht mehr verlassen sollte.
Ohne dass der scheidende Ex-Champ noch eingreifen konnte, sicherten sich Massa, Raikkonen, Trulli und Alonso die beiden ersten Startreihen. Der Pechvogel war ebenso enttäuscht wie gefasst, als er sagte: „Solche Dinge passieren halt. Ich werde natürlich trotzdem versuchen, das Beste aus der Situation zu machen und morgen von der ersten bis zur letzten Runde zu fighten.“
Im Lager der Roten ließen die Mitarbeiter die Köpfe hängen. Zum zweiten Mal innerhalb von nur zwei Wochen hatte die Technik Michael im Stich gelassen. Immer wieder erkundigten sich Mechaniker seiner Crew im engsten Umfeld: Ist Michele sauer auf uns? Sie wurden beruhigt. Michael, der um 17 Uhr mit ernster Miene in Richtung Hotel aufbrach, war keineswegs wütend.

Am Morgen des Renntages wartete der „Sperrriegel“ der Fotografen am Eingang des Fahrerlagers bis 10:15 Uhr auf Michael. Nach dem Passieren eines der Drehkreuze ging er mit hastigen Schritten hinüber zu den Ferrari-Boxen. Sein vermeintlich letzter F1-Arbeitstag als Fahrer hatte begonnen. Fernando Alonso war bereits 20 Minuten eher eingetroffen.
Fünfzehn Minuten vor dem Start ging, einen großen Pokal in Händen, Edson Arantes do Nascimento ins Startfeld. Der unter seinem „Ballkünstlernamen“ Pele bekannte Ex-Kicker überreichte die Trophäe Michael für dessen Lebenswerk. Zur selben Zeit schlenderte Kimi Raikkonen zu seinem Auto. Martin Brundle, einst Michaels Teamkollege bei Benetton und nun als ITV-Reporter unterwegs, gesellte sich zum Finnen und sagte vor laufenden Kameras: „Kimi du hast die Präsentation von Pele verpasst.“ Der McLaren-Fahrer erklärte seine Abwesenheit ohne die geringste Rücksicht auf das live zuschauende englische Fernsehpublikum: „Ich war auf dem Klo.“ In Wirklichkeit hatte er es noch viel drastischer formuliert.
Während die Spitze das Feld nach dem Start in der Reihenfolge Massa vor Raikkonen, Trulli und Alonso anführte, machten Michael und Button im Verlauf der ersten Runde je vier Plätze gut. Aber es tat sich noch weit mehr, als die ersten Wiedergutmachungsversuche der beiden Samstagspechvögel: In der Bremszone vor Turn 4 rauschte Nico Rosberg seinem australischen Teamkollegen ins Heck. Webber musste anschließend an den Boxen aufgeben, die Rosberg gar nicht erst erreicht – ohne Frontflügel mutete er seinem FW28 ein zu hohes Tempo zu und knallte deshalb in Turn 14 in die Planken. Die Spitze war in Runde zwei, als Charlie Whiting das Safety-Car auf die Bahn schickte, um aufräumen lassen zu können.
Mit Beginn des siebten Umlaufs wurde das Tempo nicht mehr diktiert. Sofort setzte Michael, der Barrichello unmittelbar vor der SC-Phase überholt hatte, Fisichella unter Druck und schnappte sich den Italiener zu Beginn der neunten Runde. Bei dem Überholmanöver, das der Angreifer im „Senna S“ auf der Außenbahn fuhr, ging es um Millimeter. Als Michael zurück auf die Ideallinie lenkte, kam es zu einer Berührung zwischen dem Renault-Frontflügel und dem linken Hinterreifen des Ferraris. Der Pneu wurde beschädigt – Luft trat aus, und fast eine komplette Runde trennte Michael von den Boxen…
Als er die Box wieder verlassen konnte fand er sich auf dem 19. und damit letzten Platz wieder. Doch wie hatte er am Vortag gesagt? Er werde bis zur letzten Runde fighten! Und genau das tat er nun.
Während sich Michael zunächst daranmachte, die 35-Sekunden-Lücke zu Monteiro zuzufahren, folgte der nächste Doppelausfall. Im Abstand von nur einer Runde strichen beide Toyota die Segel, weil ihre Autos unfahrbar waren – die hinteren Radaufhängungen machten schlapp.
Am Ende der 35 Runde war Michael schon auf Position 8 vorgerückt und hatte gerade Nick Heidfeld überholt. Nächster Gegner war Kubica. Aber auch der konnte Michaels Aufholjagd nicht stoppen. Zwei schnellste Runden nacheinander reichten und Michael war vorbei. Allerdings nur kurz… denn bei seiner aggressiven Aufholjagt leistete er sich einen kleinen Fahrfehler und Kubica nutzte seine Chance um wieder vorbei zu gehen. Zwei Runden später allerdings war der Fall Kubica für Michael erledigt und der nächste auf seiner Liste hieß Barrichello. Erst einmal stand aber 24 Runden vor Schluss der letzte Boxenstopp für ihn bei seinen Ferrari-Jungs an. Zwei Runden später, mit nun vollem Tank, fuhr Michael die nächste schnellste Rennrunde und entledigte sich noch am Ende der selben seinem ehemaligen Teamkollegen Barrichello, der ihn kampflos überholen ließ. Von Michael gab’s deshalb ein „Dankeschön“-Handzeichen. Zehn Runden später gab es eine Neuauflage des Duells Fisichella gegen Michael. Doch diesmal mit dem besseren Ende für den Ferrari-Piloten.
Tatsächlich fuhr Michael noch bis auf den vierten Platz vor und beeindruckte dabei speziell durch sein spektakuläres Überholmanöver gegen Kimi Raikkonen.
Gut 90 Minuten nach dem Start gehörte das letzte Rennen der Saison 2006 der Geschichte an. Felipe Massa hatte als erster Brasilianer seit Ayrton Senna im Jahre 1993 einen Heim-GP gewonnen. Doch nach dem Rennen dominierten die Gefühle der neue Weltmeister Alonso und der Abschied vom alten. Ein GP, bei dem Michael eigentlich keine Chance mehr hatte, seiner Karriere weitere Bestmarken hinzuzufügen. Aber sie trotzdem für einen einzigartigen Abgang aus der Königsklasse des Motorsports nutzte. Seine furiose Fahrt von Rang 19 auf vier in seinem 250. Formel 1 Rennen offenbarte noch einmal alle Attribute, die Michael seit seinem Debüt 1991 dauerhaft an die Spitze schießen ließen: Leidenschaft, Kampfgeist, unbeugsamer Wille, Talent im Übermaß und extreme Cleverness. Er hatte im 2006er Finale weder einen weiteren Titel gewonnen noch einen Sieg erobert. Nicht mal einen Podestplatz. Dennoch inszenierte er seine Abschiedsvorstellung als Demonstration seines ganzen Könnens. Als schnellster Mann im Feld stahl Michael Alonso die Show und überstrahlte Sieger Massa. Er überholte seinen Nachfolger bei Ferrari Kimi Raikkonen mit einer Härte, Raffinesse und Entschlossenheit, die den Finnen und Ferrari entgeistert zurückließen. Mit Platz vier war er der wahre Sieger des Tages.
„Zunächst möchte ich Felipe zu seinem Sieg und Fernando zu seinem Titelgewinn gratulieren. Mein eigenes Rennen wurde heute leider durch den Reifenschaden beeinflusst. Immerhin konnte ich anschließend Boden gutmachen. Jetzt heißt es Abschied nehmen. Es gibt so viel, was ich über meine Freunde bei Ferrari sagen könnte, aber leider ist es schwierig, die richtigen Wort zu finden…“ Inoffiziell fügte er hinzu, dass er dieses Rennen so gerne gewonnen hätte und dass es ihm ohne den Reifenschaden trotz des Quali-Pechs locker gelungen wäre: „Mein Auto flog heute geradezu – ich hätte vermutlich alle überrunden können.“ Und keiner der Millionen Fans, die vor den Bildschirmen saßen, hätte ihm widersprochen. Der Vorhang war gefallen, eine einzigartige Karriere beendet. So sollte es sein, so war‘s geplant. Doch erstens kam es anders und zweitens als man dachte.

Drei Jahre Pause hatte er sich gegönnt, seine Batterien wieder aufgeladen. Doch die Flamme in seinem inneren, die Liebe zur Formel 1, war nie erloschen. 2009 hatte sie neue Nahrung erhalten. Das Weihnachtsmärchen wurde wahr und seine Fans hatten ihren Michael als Formel 1 Rennfahrer zurück. Nicht in einem Ferrari aber immerhin bei einer anderen Traditionsmarke: Mercedes.
Ein Traum, irgendwann einmal mit Mercedes in der Formel 1 zu fahren wurde für Michael war.

Quellen: FIA Saison Review  2006. Achim Schlang „Michael Schumacher – Alle Siege des Rekordchampions“, 1. Auflage 2006.  Autobild „Michael Schumacher-Spezial 2006",  2006.

7. Rennen der Saison '11

Der Große Preis von Kanada auf dem Circuit Gilles Villeneuve

12. Juni 2011

Fast eineinhalb Jahre fuhr Michael nun schon wieder in der Formel 1. Sein Comeback war bis dahin sicher nicht optimal gelaufen. Man hatte sich mehr erhofft, mehr erwartet. Auch Michael hatte nicht ahnen können, dass der Weg nach seinem Comeback doch so steinig werden würde.

Zum siebten Lauf der Saison 2011 in Kanada, reiste man bei Mercedes deshalb auch mit wenig Zuversicht. Da die letzten beiden Rennen in einer Niederlage geendet hatten: In Barcelona lagen Michael und Nico Rosberg am Ende eine Runde zurück und in Monaco schaffte man es nicht einmal in die Punkteränge. „Uns steht ein schwieriges Rennwochenende bevor, wenn man sieht, wo wir in Barcelona und Monaco waren", gab sich Michael pessimistisch. Was daran lag, dass der Reifenverschleiß auf dem Circuit Gilles Villeneuve wieder eine große Rolle spielen sollte. Genau in diesem Bereich befand sich die hartnäckige Problemzone von Mercedes.

Für Michael begann das Rennwochenende - neben den üblichen Interviews - mit einer besonderen Streckenbegehung. Zusammen mit seinem alten Rivalen David Coulthard fuhr er in einem Golf Cart um den Kurs und erklärte für die BBC Zuschauer die Strecke. Das ganze fand bei einer erstaunlich lockeren und gelösten Stimmung statt. Die Begegnungen der beiden waren auf der Strecke ja nicht immer ganz harmonisch verlaufen. Michael scherzte viel, gab aber nur ungern das Steuer des Golf Carts aus den Händen.

Montreal war schon immer für ein bisschen Action gut, aber diesmal mussten die kanadischen Fans dafür nicht einmal auf den Rennsonntag warten: Bereits während des Freitagstraining gab es insgesamt drei rote Flaggen, zwei davon in der zweiten Session am Nachmittag.
Im zweiten Training krachte zuerst Adrian Sutil in Kurve sieben in die Mauer, doch diesen Zwischenfall konnten die Streckenposten noch mit gelben Flaggen lösen. Als dann aber in Kurve vier unmittelbar hintereinander Kamui Kobayashi und Jerome D'Ambrosio in die Mauer krachten, musste zweimal unterbrochen werden. So wurde die letzte halbe Stunde des Trainings praktisch halbiert, was die Programme der Teams durcheinanderbrachte und dazu führte, dass bis auf Alonso fast alle auf ihren sonst üblichen Qualifying-Testrun mit den weicheren Reifen verzichteten, um stattdessen lieber die Haltbarkeit der Pneus zu testen.
„Wir sind im Renntrimm gefahren und sind sehr zufrieden mit dem, was wir am Nachmittag gezeigt haben", zeigt sich Sportchef Norbert Haug unbesorgt." Die Zeit von Nico am Vormittag zeigt ja, dass die Nachmittagszeiten keineswegs außer Reichweite sind. Wir wissen, wie viel Sprit wir im Tank hatten." In der Tat: Im Freitags-Gesamtklassement fiel Nico Rosberg lediglich vom ersten auf den dritten Platz zurück; Michael wurde Gesamtelfter.

Am Samstag erlebte Michael ein solides Qualifying. Mit 0,850 Sekunden Rückstand belegte er den achten Rang. Doch nach dem Zeitenfahren, bei dem er nur einen Wimpernschlag langsamer war als Teamkollege Rosberg, tauchten beim Rekordsieger Sorgenfalten auf. „Es ist okay, aber es war für uns keine optimale Situation", so der Mercedes-Pilot. „Ab Kurve vier war leider die Durchzugskraft etwas verringert. Warum, das muss ich jetzt herausfinden. Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist. Insofern war es okay." Blieb zu hoffen, dass das Problem sich nichtnegativ auf das Rennen auswirken würde: „Ich hoffe es nicht, ja."
Mercedes schien die Rennstrecke von Montreal besser zu liegen als gedacht, denn man war näher an der Konkurrenz dran, insbesondere an jener von McLaren-Mercedes: „Es gibt weniger Kurven, es geht mehr geradeaus. Das alleine kann dir schon einmal helfen. Stop-and-Go scheint dem Auto etwas mehr entgegenzukommen. Ich denke, dass auch die kühlen Bedingungen mit ausschlaggebend dafür sind", erklärte Michael.
Allerdings hatte McLaren wohl auf ein Regensetup gesetzt, was Michael verwunderte: „Ich weiß jetzt nicht, welche Annahme es gibt, dass McLarenein Regensetup hat. Ich glaube nicht, dass jemand so optimistisch ist, denn die Vorhersage auf Regen ist zwar zu einem geringen Prozentsatz vorhanden, aber ich glaube zu gering, um sich schon jetzt auf Regen festzulegen."
Bei Mercedes hatte man zwar nicht auf ein Regen Setup hingearbeitet, doch auf Grund der generellen Voraussetzungen ging das Setup etwas mehr Richtung Regen. „Wir waren auch nicht verlockt, die Flügel flacher zu stellen, weil es so aussieht, als würde es ein wechselhaftes Wochenende werden. Es ist eine interessante Strecke, denn manchmal bringt es nicht unbedingt Rundenzeit, die Flügel flacher zu stellen. Es hat ja nicht nur lange Geraden hier, sondern auch Brems- und Beschleunigungszonen. Wir haben die Flügel unverändert gelassen, wodurch wir nicht die Allerschnellsten sind", so Ross Brawn. Aber: „Sollte es regnen, wären wir in keiner schlechten Ausgangsposition", war Brawn überzeugt.

Tatsächlich regnete es am Sonntag schon vor dem Rennen. Die verantwortliche Rennleitung sah sich wegen der feuchten Piste sogar dazu gezwungen das Rennen hinter dem Safety-Car zu starten, obwohl es längst wieder aufgehört hatte zu regnen. Alle Autos mussten somit auf Regenreifen starten.
Am Ende der vierten Runde wurde das Rennen endlich freigegeben. An der Spitze konnte Vettel seine Position gegenüber Alonso und Massa verteidigen, dahinter ging es jedoch direkt heiß her. Mark Webber wurde durch einen missglückten Überholversuch von Hamilton in einen Dreher geschickt. Auch Hamilton kam dabei von der Ideallinie ab. Rosberg, Button und Michael konnten an Hamilton vorbei gehen. Webber verlor sogar noch mehr Plätze und reite sich erst auf Platz 14 wieder ein.
Ein paar Kurven später geriet Button auf der nassen Piste ins Straucheln. Michael ließ sich nicht lange bitten, nutzt seine Chance und ging vorbei. Ebenso Hamilton. Drei Runden lang verteidigte der Mercedes-Pilot erfolgreich seinen fünften Rang gegen die drängelnden McLaren. Bis er am Ende von Runde sieben erst einmal aufatmen konnte, da sich Hamilton und Button
  in die Quere kamen. Hamilton landete in der Boxenmauer und musste sein Rennen beenden. Button hingegen konnte weiterfahren. Das Safety-car begab sich wieder auf die Strecke und neutralisierte das Feld für vier Runden.
Keine Sekunde zögerte Michael nachdem das Safety-car abgebogen war mit dem ersten Angriff auf seinen Teamkollegen Rosberg und hielt danach den Druck aufrecht - bekam jedoch keine Chance zum überholen. Mit dem 16. Umlauf startete die erste Boxenstopprunde. Michael kam zwei Runden später zum Service, ließ sich Intermediates aufziehen und fiel auf Position 11 zurück. Im Nachhinein betrachtet genau zum falschen Zeitpunkt. Denn in der anschließenden Runde fing es wieder an zu regnen.
Der erneute Regen veranlasste die Rennleitung dazu das Safety-Car wieder auf die Strecke zu schicken. All jene die zuvor auf Intermediates gewechselt hatten mussten nun wieder umrüsten, der Rest nutzte die Chance und kam zum ersten Reifenwechsel in die Box. Michael verlor durch seinen erneuten Stopp einen weiteren Platz.
Inzwischen regnete es immer stärker an einigen Stellen der Strecke. In Runde 25 gewann der Regen den Kampf gegen die Boliden und die Rote Flagge wurde geschwenkt, Rennunterbrechung!

Das Warten auf besseres Wetter begann. Es wurde ein langes Warten…

Michael vertrieb sich seine Zeit in der Mercedesbox und unterhielt sich unteranderem auch mit dem US-amerikanischen Rallyefahrer Ken Block. Das schlechte Wetter und das Warten auf Besserung schien ihn nicht zu beeindrucken - während andere Fahrer anfangs noch in ihren Autos ausharten. Doch auch ihnen wurde das Warten irgendwann zu lang.
Eine Stunde später… Michael hatte inzwischen seinen Standort gewechselt und sich an den Mercedes-Kommandostand bewegt. Der Regen hatte nachgelassen, doch die Kehrmaschinen kämpften noch immer gegen das Wasser auf der Strecke an.
Erst eine weitere Stunde später wurde der Rennbetrieb wieder aufgenommen. Das Safety-car
 führte das Feld erneut hinter sich her, bis am Ende von Runde 34 das Rennen wieder freigegeben werden konnte. Michael kam sofort an die Box um auf Intermediates zu wechseln und sortierte sich auf Platz 17 wieder ein. Bedingt durch die Boxenstopps der anderen und durch die Überholmanöver gegen D’Ambrosio, Alguersuari, Karthikeyan und Petrow hatte er sich 3 Umläufe später Platz acht erobert. Michael pflügte durchs Feld wie in glorreichen alten Zeiten, in der Box drückte seine Frau Corinna begeistert die Daumen und fieberte mit. In Runde 37 musste das Safety-Car jedoch erneut auf die Strecke, da nach einem Zwischenfall, in den Alonso und Button verwickelt waren, der Ferrari des Doppelweltmeisters von der Strecke geborgen werden musste.
Ab Rund 41 durfte man wieder Vollgas geben und Michaels Aufholjagd ging weiter. Eine Runde später hatte er einen Fahrfehler Webbers zum überholen genutzt. Di Resta hingegen räumte das Feld kampflos, da dieser seinen Frontflügel am Boliden von Heidfeld beschädigt hatte. Nebenbei musste Michael nun immer wieder seine Position gegen Mark Webber verteidigen.
Am Ende des 46. Umlaufes konnte Michael den Lotus-Renault-Piloten Nick Heidfeld überholt. Besonders schwer fiel ihm das nicht, da er erstmals an diesem Sonntag die DRS-Überholhilfe benutzen durfte. Bei der Gelegenheit fuhr er auch gleich die bis dato schnellste Runde des Rennens. Der Vorwärtsmarsch von Michael sollte auf Platz vier jedoch noch nicht beendet sein. In Umlauf 51 konnte Michael beobachten wie sich Kobayashi und Massa das Leben gegenseitig schwer machten und nutzt diese Chance eiskalt aus indem er an beiden gleichzeitig vorbei ging. Er lag nun auf Platz zwei und es waren nur noch 18 Runden zu fahren.
Nach der letzten Boxenstopp Serie lag Michael immer noch auf Platz zwei. Doch die Strecke trocknete immer weiter ab und Michael stand weiter unter Druck von Mark Webber.
Als wär das Safety-Car nicht schon oft genug draußen gewesen rückte es in Runde 57 erneut aus. Diesmal hatte sich Heidfeld spektakulär aus dem Rennen befördert nachdem er sich an Kobayashis Auto seinen Frontflügel beschädigt hatte.
Nun lag Michael, bedingt durch das Safety-car, in Schlagdistanz zum immer noch führenden Vettel. Als das Rennen am Ende der 60. Runde wieder frei gegeben wurde ließ es sich Michael natürlich nicht nehmen seinen Langzeit-Kumpel anzugreifen. Erfolg hatte er dabei zwar nicht, aber einen Versuch war‘s wert gewesen. Da Vettel das schnellere Auto hatte verlor Michael danach jedoch schnell wieder den Anschluss.
Platz zwei galt es nun zu verteidigen. Schnell wurde aber deutlich, dass Michael es schwer haben würde seine Position zu halten. Hinter ihm drängelten Webber und Button, die eindeutig unter trockenen Bedingungen die schnelleren Autos hatten. Trotzdem gelang es Michael vorerst beide hinter sich zu halten, bis die Rennleitung sich entschloss das DRS wieder frei zu geben. Nun war er chancenlos. Sowohl Button als auch Webber, die zwischenzeitlich die Positionen getauscht hatten, konnten ihn überholen. "Scheiße, vorbei", rief Corinna spontan.

Der Traum vom ersten Podium seit Michaels Comeback war ausgeträumt. Als vierter konnte er trotzdem auf ein Rennen zurück blicken in dem er seinem Ruf als Regenspezialist absolut gerecht wurde. „Nach diesem Rennen habe ich ein lachendes und ein weinendes Auge. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich darüber glücklich oder enttäuscht sein sollte", so Michael. „Natürlich wäre ich gerne Zweiter geworden und auf das Podium gefahren, aber obwohl das letztlich nicht gelungen ist, können wir mit dem Ergebnis und unserer Leistung zufrieden sein. Wir haben den ersten Teil des Rennens glaube ich nicht besonders clever gestaltet. Dafür haben wir es dann im zweiten Teil besser gemacht. Natürlich war ich ein bisschen überrascht, als ich plötzlich Zweiter war. Das war dank der cleveren Strategie möglich, die wir zusammen ausgearbeitet haben. Natürlich haben auch die Umstände für uns gearbeitet. Die Bedingungen waren für mich perfekt.  Unter solchen Bedingungen kann man den Unterschied einfach immer noch klar und deutlich darstellen. Das habe ich heute umsetzen können. Das hat mir natürlich Spaß gemacht. Weniger Spaß macht es natürlich, wenn man so kurz vor dem Podium steht und es einem dann wieder Weg geschnappt wird. Aber das ist nun einmal Rennsport. Auf der anderen Seite denke ich, dürfen wir mit diesem Rennen heute glücklich sein. Wir haben viel Action gezeigt und sind gut dabei gewesen. Nach den vergangenen Rennen, die nicht ganz so gut gelaufen sind, war das diesmal wieder ein Highlight."
Am Ende also Platz vier, wie im Jahr zuvor auch schon dreimal. Wieder knapp am Podium vorbei. Corinna hatte dennoch nur eine Bezeichnung für das beste Rennen seit dem Comeback ihres Mannes: „Mega!“ Michaels Leistung war auch ein wichtiges Zeichen im richtigen Moment in Richtung seiner Kritiker, die ihn teilweise schon abgeschrieben hatten.

Im Verlauf der Saison konnte Michael noch weitere Highlights setzen. In Spa fuhr er - nachdem er in der Qualifikation ein Rad verloren hatte - von Platz 24 auf 5 und in Monza lieferte er sich einen heißen Kampf mit Lewis Hamilton, hielt sich lange auf Platz 3 und wurde am Ende noch fünfter. Ein Aufwärtstrend war klar zu erkennen.  Michael kam immer besser in Fahrt, was die Freude auf die Saison 2012 immer weiter steigerte.